Predigt zum 19.07.2020
von unserem Pfarrer Vornewald
So unterschiedlich sind die Charaktere oder die Mentaltitäten: Bei den einen ist alles geordnet im Garten, kein noch so kleines Hälmchen von irgendeinem Gewächs schaut aus der Erde, wenn es da nicht hingehört. Mit aller Kraft und großer Sorgfalt ist alles sauber und gepflegt. Bei anderen gibt es ein Biotop zu bestaunen, so wie es kommt und wächst, so breitet es sich aus, Ähren, Blumen, Bohnen, Himbeeren, Rosmarin, Buchsbaum, Nadelbaum, wilder Wein und weiß nicht was … und die Wicke schlängelt sich um den Apfelbaum …
Mit der Art von Gestaltung geht oft ein Lebensmodell daher. Es muss alles in Reih und Glied stehen, alles muss geregelt werden, jeder muss parieren, es hat alles seine Ordnung, wo kämen wir sonst hin. Das gibt Halt und Orientierung, man muss sich einpassen in so einer Welt, aber man weiß, woran man ist. Jede und jeder kann machen, was sie wollen, alles ist gut. Du bist ok, ich bin ok, jede und jeder ist frei, zu tun, was sie/er will … Was für eine herrliche Welt, hier kann ich atmen, keine Grenzen! Aber was ist richtig, was ist falsch? Und was ist, wenn der Gestaltungswille des einen den anderen verdrängt.
Beide Lebensmodelle haben ihr Schönes und Gutes. Man schaut es sich gerne an und ist gerne dabei. So eine geordnete Welt, wo alles seinen Platz hat, alles mit Liebe gestaltet ist, wie wunderbar stehen die Rosen, die Rasenkante ist perfekt und direkt dahinter die verschiedensten Pflanzen mit ihren Blüten, passend in ihren Farben und Formen. Aber andererseits: Was ist das faszinierend, wenn man der Natur ihren Lauf lässt, es einfach entstehen lässt, alles darf sein, was leben will, welch eine Komposition.
Aber bei Beiden kann man auch Angst bekommen. Beim einen wird es schnell Zwang geben, man muss sehen, dass man als das Pflänzchen, was man ist, besteht. Ich mache mir den Kopf, wie ich meine, dass die anderen mich sehen wollen. Wer nicht zu uns passt, und wer nicht weiß, wo er hingehört, wird ausgerupft. Lieber Gott, mach, dass ich kein Unkraut bin …! Beim anderen droht ein Kampf von Verdrängung, man muss sehen, dass man nicht zu kurz kommt, hoppla, ich bin auch noch da. Jede und jeder strengt sich an, den Platz an der Sonne zu bekommen. Wie gut, dass ich auch Dornen habe, äh ich meine Ellenbogen.
In der einen Welt sehnt man sich nach Freiheit, die die eigene Entfaltung ermöglicht, in der anderen nach Ordnung, nach Regeln, die das Zusammenleben im Gartenbeet erträglich machen.
Ich habe mal den Gedanken gelesen, dass bei dem dreieinen Gott Ordnung und Freiheit eins seien, weil seine innere Lebensmitte Liebe ist. Dass bei ihm totale Kreativität und vollendete Ordnung denselben Ursprung haben und dieselbe Sehnsucht es erahnen kann. Der Gedanke fasziniert mich! Liebe gibt es nur in Freiheit und Liebe ist die einzige Ordnung, die wirklich Orientierung gibt, wo alles den Platz bekommt, den es braucht. Liebe, und dann tu, was Du willst, hat der hl. Augustinus gemeint. Wir Menschen bekommen das irgendwie nie so richtig auf die Reihe, pendeln zwischen dem Einen und dem Anderen. Und fügen uns dabei immer neu Leid zu, Und die Schlimmsten sind die, die genau wissen, wie es zu sein hat. Entweder, sie vergewaltigen die Welt, oder sie sind in ihrer großen allumfassenden Toleranz intolerant gegen alle, die anscheinend nicht so frei sein können wie sie. Und wenn wir einmal frei miteinander leben könnten, dann geben wir uns so viele Regeln, um die Freiheit zu schützen, dass wir uns wieder, natürlich ganz freiwillig, einsperren. Und bei all dem ist es eine Tragik, weil man bei jeder und jedem Einzelnen sehen kann, dass sie oder er doch nur das Beste will! Das Tun und Gestalten von uns hat mit zwei Motiven zu tun: zum einen treibt uns die Sehnsucht: nach Glück, nach Liebe, nach Frieden, nach Freiheit, danach zu wachsen, zu leben, zu genießen, Früchte zu bringen, anderen gutes zu tun. Zum anderen ist da die Verzweiflung, die leidvolle Erinnerung, der Wunsch, aus dem Aussichtslosen herauszukommen oder die Angst, gar nicht erst hinein zu geraten.
Beides, Sehnsucht und Verzweiflung, so sagen die alten Mystiker, sind die beiden Motive, die uns öffnen können für etwas anderes, neues.
Wie gut tut da der andere Blick, wenn aus der einen wie der anderen Versklavung die Bitte in uns hochsteigt: Dein Reich komme, ach, dass es doch wie im Himmel, so auf Erden werde!
Zu diesem Blick werden wir heute eingeladen, wenn Jesus sein Gleichnis beginnt und sagt: Mit dem Himmelreich ist es wie …
„ … ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte.“ Hier ist gleich etwas ganz wichtiges benannt. Wie eigentlich immer in der Bibel, so ist es auch hier zunächst gut. Denn den Anfang, den hat Gott gesetzt und der ist wirklich gut: „Gott sah, dass es gut war“, heißt im Schöpfungslied und bei der Schöpfung des Menschen sogar „sehr gut!“ Der Garten, den einer bepflanzt, ist also gut und der Mensch, der das tut, sogar sehr gut. Doch woher kommt dann das Böse, das so offensichtlich ist? Darauf wird keine direkte Antwort gegeben, sondern nur von einem Feind des Bauern gesprochen, der Unkraut unter den Weizen säte, als die Leute schliefen. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Auf die Frage, wie man denn mit der Situation umgehen solle, ob man das Unkraut ausreißen soll, da gibt es eine ganz wertvolle Antwort: „Nein,“ so sagt der Sämann, „sonst reißt ihr mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte!“
Die Mahnung hat es in sich. Denn: Gute und schlechte Eigenschaften sind oft so nahe beieinander, dass man mit den Schwächen auch die Stärken ausreißen würde. Ich hatte einen Freund, der tat sich unheimlich schwer, wenn er sich entscheiden musste. Das zögerte er bis zum letzten Moment hinaus und am liebsten entschied er sich auch gar nicht. Derselbe Freund war einer der besten Zuhörer, die ich kennengelernt habe. Weil er sich kein Urteil bildete, konnte er ganz nahe dran bleiben an dem, was den anderen beschäftigt.
Die Mahnung hat es in sich. Denn: Weißt Du immer genau, was Unkraut ist und was gute Pflanze? Auch wenn das manchmal offensichtlich zu sein scheint, bei näherem Hinsehen kommt man da ins Grübeln. Es gibt ja sogar die mir auf den ersten Blick sympatische Meinung, bei Gott gäbe es gar kein Unkraut, höchstens so etwas wie Wildkräuter. Kenne ich wirklich die Motive und den biografischen Hintergrund eines Menschen, dass ich das so objektiv einschätzen kann, was gut und böse bei ihm ist? Ich möchte es doch besser bei der Mahnung belassen, ich könnte mit dem Unkraut auch den Weizen bei ihm ausreißen.
Die Mahnung hat es in sich: Kennen Sie das auch, dass Menschen an Ihnen rumrupfen. Mach das so! Das finde ich unmöglich an Dir …! Hätten Sie nicht daran denken können? Es ist schwierig, mit Kritik umzugehen. Ich kann sie am ehesten annehmen, wenn ich weiß, dass es demjenigen wirklich an mir liegt. In einer Pfarrei gab es einen Mann, der meinte, mir was Gutes zu tun, wenn er mir immer alles zutrug, was die Leute so über ihren Pfarrer redeten, damit ich ich ändern könnte. Ich habe mir das nach einer Weile nicht mehr angehört, denn es zerstörte nur meine positive Motivation und unterwanderte mein Selbstbewusstsein. Manchmal sogar meinen Glauben an den Ruf Gottes in mir. Da wurde es schwer zu predigen.
Es bleibt also nicht anderes, als mich an dem so herrlich geordneten Garten mitzufreuen und zugleich das Wunderwerk zu bestaunen, was passiert, wenn einer so frei ist und alles wachsen lässt. Und irgendwie haben ja auch beide Recht, sich auf das Gleichnis zu beziehen. Beides ist ein Stück Himmelreich. Der Eine wird sagen, dass es sehr wohl Unkraut gibt. Aber er wird sich natürlich seiner Gefährdung bewusst werden, dass er vielleicht Gutes aussortiert. Der Andere wird hören, dass man ja beides wachsen lassen soll. Er wird aber lernen müssen, dass nicht alles gute Pflanze ist und es sehr wohl auch Ordnung und Regeln braucht. Bei Beiden ist die Gefährdung alles andere als harmlos.
Lass es wachsen bis zur Ernte. Das bedeutet wohl auch etwas sehr entlastendes. Nicht nur, dass ich die Unterscheidung nicht leisten muss, sondern sie überlassen kann, nein, es bedeutet auch, dass es überhaupt eine Unterscheidung gibt, die unbestechlich die Wahrheit ans Licht bringen und die Gerechtigkeit schaffen wird. Der Glaube an Gott schenkt so Gelassenheit.
Aber das wichtigste scheint mir zu sein: Wir sind eingeladen, auf die gute Saat zu schauen, die wir in Anderen und ihrem Tun entdecken. Natürlich auch in uns selbst. Das schafft Beziehungen, gibt Selbstvertrauen, setzt Hoffnung frei, lässt uns miteinander leben und sogar voneinander. Und lässt uns die Spuren des guten Bauern entdecken, der den Acker dieses Lebens bestellt. Sollte mir das bei einem anderen nicht gelingen, weil er ja so und so schlimm ist, so kann ich daran meine eigenen Grenzen entdecken. Die wiegen vielleicht schwerer als das, wo ich beim anderen sehe. Und ich glaube: So, wie wir uns gegenseitig ansehen, so prägen wir uns. Wenn wir das Gute wahrnehmen, kann die gute Pflanze wachsen und gute Früchte bringen. Übrigens, das nächste Gleichnis ist das vom Senfkorn. Selbst wenn die Saat ganz klein ist, kann daraus doch eine wunderbar große Pflanze werden. Franz von Sales ist einer der liebenswürdigsten Heiligen. Er hat gesagt: „Wenn Du bei einem Menschen 99 schlechte Eigenschaften siehst und nur eine gute, dann sieh auf die eine gute und die 99 schlechten verschwinden.“