Predigt Fronleichnam 2020
Endlich ist es wieder möglich! Wenn man etwas nicht mehr hat, merkt man erst, wie wichtig es einem ist. Wie war das, 9 Wochen ohne Messe? Es war ein starker Einschnitt, seit dem 15.03. gab es keine Eucharistiefeiern mehr als Pfarreigottesdienst. Haben Sie es auch vermisst? Mehrere haben beim Friedensgruß in der Osternacht gesagt: Wir hoffen, mit Euch allen bald wieder in unserer Kirche die Messe zu feiern. Es gab aber auch Stimmen, die anders klangen. Eine Frau, die sich auf das Radio als Medium für ihren Sonntagsgottesdienst eingelassen hatte, meinte: Ich habe mich gefragt, ob ich da immer in die Kirche gehen muss, nur zu hören, ist so intensiv. Und dann hat sie sich über sich selber erschrocken. Einigen, so ist mir jetzt zu Ohren gekommen, ist es zuwider, sich anzumelden zum Gottesdienst. Und wem es besonders darum geht, mit bestimmten Leuten zusammen zu kommen am Sonntagmorgen, dem wird die jetzt gefundene Regel auch nicht schmecken. In den über zwei Monaten wird vielleicht auch einigen die Frage gekommen sein, ob man nicht auch gut ohne leben kann. Fehlt was?
Mir scheint, als sei der Lockdown auch für das Feiern von Gottesdiensten eine Anfrage an uns: Es stellt sich jeder und jedem die Frage: Was ist es mir wert? Was bedeutet es mir? Ich meine das nicht moralisierend, sondern eher als die Chance, zu sich selber zu stehen. Was das Mitfeiern von Gottesdiensten angeht, so ist es doch das Wichtigste, dass wir ehrlich sind, zu uns selbst, vor Gott und zu den anderen. Als ich an Christi Himmelfahrt in Magdeburg den Livestream-Gottesdienst in der Kathedrale mitgefeiert habe, haben wir mit dem Bischof darüber diskutiert. Ob es so etwas wie eine Entwöhnung von der Sonntagsmesse geben wird? Der Bischof war sich überzeugt: Wem es was bedeutet, der kommt wieder! Aber die Frage nach der persönlichen Bedeutung, die wird abgeklopft?!
Heute ist Fronleichnam. Irgendwann hat man begonnen, nach dem Abschluss des großen Festkreises von Advent, Weihnachten, Fastenzeit, Ostern bis Pfingsten einige besondere Festtage dran zu hängen: Der erste war am Sonntag der Dreifaltigkeitssonntag, heute ist es ein eigener Festtag für die Eucharistie. Und zwar als das, wo uns das Ganze von Tod und Auferstehung und Geistsendung zugänglich wird wie in einem Brennglas, so nahe wie sonst nirgendwo. Der Name klingt merkwürdig. Fron heißt nicht mehr als Herr und Leichnam war in früheren Zeiten nicht unbedingt ein toter Leib, sondern bedeutet einfach Leib. Also muss man es sich übersetzen mit „Leib des Herrn“. Dass wir den Leib des Herrn empfangen und mit ihm ganz komprimiert das ganze Kirchenjahr, also das Weihnachtsgeheimnis, die Hingabe des Karfreitags und die übergroße Freude von Ostern und die Übergabe seines Geistes, das ist ein eigenes Fest wert. Am Sonntag strahlte jemand nach dem Gottesdienst in Thale, es war ja dort die erste Messe wieder: Ist ja schön und gut, die Messe am Fernsehen, aber richtig dabei zu sein und die Kommunion zu empfangen, das ist was anderes.
Ich meine, es ist gut, dass da von Leib die Rede ist, vielleicht sollte man sagen Körper, Leib klingt irgendwie antiquiert. Eine der schwieirigsten Erfahrungen in der Zeit des Lockdowns so allein zu Hause war, dass ich tage- oder sogar wochenlang keinerlei körperliche Kontakte hatte. Die intensivste Kontaktaufnahme zwischen Menschen geht nicht über hören oder sehen, sondern über die Haut, also wenn ich berührt werde. Ich habe das vermisst, mal einen Händedruck, eine Umarmung, das ganz normale angemessene auch körperliche Zusammensein. Mir ist der Gedanke gekommen, dass es mit dem Leib des Herrn und dem Empfang der Kommunion ähnlich ist. Ja, es ist gut, den schöpferischen Gott im Wunder der Natur wahr zu nehmen, ihm im Umgang mit anderen Menschen zu begegnen, still zu werden und zu beten, er ist ja immer da! Aber die Kommunion ist nochmals etwas anderes. Kommunion heißt nichts anderes als Gemeinschaft oder Begegnung. Die Kommunion ist die Begegnung mit dem, der Mensch wurde, der seinen Leib und damit sein Leben hingegeben hat als die intensivste Kontaktaufnahme Gottes mit uns Menschen. Mit Dir und mir, um uns zu versichern, dass er uns nahe ist, tief innen in unserer Seele Wohnung nimmt. Seine Liebe, die die Fesseln des Todes gesprengt hat, vermag alle Grenzen zu überwinden, von Raum und Zeit. Auch die Grenzen in uns, er kommt durch unsere verschlossenen Herzenstüren hindurch in unser Herz. Und das gratis, umsonst, in die leeren Hände gelegt.
Dafür muss man auf den Anfang dieser Kommunion, dieser Begegnung schauen. Da kommt ein Engel zu einer jungen Frau. Es ist die reine totale Initiative Gottes, von niemand bedingt, von nichts abhängig. Die Initiative seiner „barmherzigen Liebe“, wie es im Lukasevangelium heißt, dass Gott uns leibhaftig wird. Der Engel sagt zu Maria „du Begnadete“, im lateinischen „gratia plena“, gratia hat mit gratis zu tun und plena meint viel, meint Fülle. Und wie das Kind ihr in die Hände gelegt wird, so wird er uns leibhaftig in die Hände gelegt, in die leeren Hände, umsonst, gratia plena! Umsonst, und doch so kostbar!
Was uns physisch in die Hände gelegt wird, ist ein Stückchen (ungesäuertes) Brot. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herab gekommen ist.“ Dieses Brot hat den Prozess des Brotwerdens in sich. Als Jesus auf sein Sterben zu sprechen kommt, sagt er: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Dieses Weizenkorn ist durch den Tod hindurch aufgebrochen und zum Brot des Lebens geworden. Er ist auferstanden. Er lebt! „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben!“ Er wird zu einem österlichen Menschen, hat in sich die Liebe, selber zum Weizenkorn zu werden.
Die meisten Feste haben zum Anlass etwas, was zum normalen Leben dazu gehört, z.B. am Geburtstag, dass jemand lebt, an einem Ehejubiläum, dass zwei Menschen verheiratet sind. Dies normale wird in seiner Außergewöhnlichkeit und als Teil des Lebensglücks gefeiert. Heute ist das auch so: Die hl. Messe gehört bei uns zu unserem normalen kirchlichen Leben. Immer wieder feiern wir sie. Heute werden wir mit der Nase drauf gestoßen, was es eigentlich ist.
Immer wieder feiern wir sie: Aber jedesmal mit einem anderen Evangelium. Und dieses gehörte Evangelium wird dann in der Eucharistie zur leiblichen Begegnung, das Wort wird Fleisch, waren es damals die Jünger oder Petrus oder irgendjemand, der Heilung oder Vergebung erfährt oder Jesus zuhörte, so wird das, was dort erzählt wird, auf besondere Weise wirklich unter uns: Das Wort wird Fleisch, wir sind die, die ihm in diesen Worten begegnen.
Immer wieder feiern wir die heilige Messe. Sie wird bei den verschiedensten Anlässen gefeiert. Vor allem am Sonntag, weil es der Ostertag ist und der Herr in die Mitte seiner Jünger tritt, in die Mitte unserer Gemeinde. Aber auch zu ganz verschiedenen freudigen und traurigen Ereignissen. Ich hatte mal an einem Tag morgens ein Requiem, nachmittags ein Brautamt und dann am Abend eine Familienmesse auf einem Bauernhof. In den verschiedenen Situationen kommt er zu uns. Er segnet unsere Liebe, Er tröstet uns mit seiner Nähe und Verheißung, immer wieder wird verdichtet, dass er bei uns ist. Auf dass wir da, wo wir jetzt stehen, es wahrnehmen und glauben können. Er freut sich mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. „Jede, jeder, der mich isst, wird durch mich leben.“ Heute, wenn wir den „Leib des Herrn“ feiern, können wir uns dankbar erinnern, was uns dadurch geschenkt worden ist, wie die Freude sich vervielfacht und das Schwere, das Traurige etwas von seiner Bitternis verloren hat, wie sich manche Ängste beruhigt haben, wenn wir in uns gehört haben: Ich bin bei Dir, jetzt, heute, ganz. Schließlich wird ja seine Liebe unter uns wirklich!
Und das, was unser Leben ausmacht und uns beschäftigt, bleibt nicht draußen vor. Es wird zum Inhalt der Begegnung mit ihm. Deshalb ist es gut, dass wir in diesen Tagen in unseren Gottesdiensten nicht so tun, als gäbe es die Gefahr des Corona-Virus nicht. Diese Bedrohung, die uns verändert, vor der wir uns und andere schützen, in ihr begegnet uns Jesus, sie wird zum Teil unseres Gottesdienstes! Denn sie ist Teil unseres Lebens, in dem wir uns von ihm begleitet wissen durch die Eucharistie.
Und wenn jede und jeder von uns, klein und groß, jung und alt ihm begegnet, Kommunion empfängt, dann werden wir auf diese Weise verbunden. Denn wir bekommen eine andere Sicht füreinander. Wir lernen uns kennen und einander ansehen als Menschen, die ihre Eigenheiten und Fehler haben und jede und jeder seine eigene Geschichte, aber alle geliebt und begleitet sind. Darin werden wir aufeinander gestoßen. Der hl. Augustinus hat gesagt: „Empfangt, was Ihr seid, der Leib Christi. Auf dass Ihr werdet, was Ihr empfangt: Der Leib Christi.“ Der Leib Christi werden in zweierlei Hinsicht: als die vielen Glieder untereinander, die in Liebe aufeinander verwiesen sind und sich ergänzen. Und als diejenigen, die durch ihn leben und so für andere zum Leib Christi werden. Wir sind die einzige Bibel, die gelesen wird, hat mal jemand gesagt. Man könnte auch sagen: Wir sind die Kommunion, die man empfangen kann.
„Mein Fleisch ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank!“ sagt Jesus. Ich wünsche uns allen, dass er das über uns sagt!