Predigt zum Weißen Sonntag 2021
von unserem Pfarrer Christian Vornewald
Am Abend des Ostertages, als die Christen aus Furcht vor der Ansteckung durch das Coronavirus doch lieber zuhause geblieben waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
Wie war Ihr/Euer Osterfest, so unter Pandemiebedingungen? War da Freude? So wie es vom ersten Ostern berichtet wird: Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen! Oder ist es gar nicht so richtig Ostern geworden? Das Wetter war ja auch nicht so, dass man in Festtagsfreude kommen würde. Und eine grundlegendere Frage ist dann bald die, ob einen die da zu diesem Datum gefeierten Glaubensinhalte überhaupt erreichen? Selbst wenn Du es willst, da kommt doch schnell etwas dazwischen: Eine Enttäuschung mit einem anderen Menschen, eine Sorge, z.B. um die eigene Gesundheit oder die von anderen, oder die mieser werdende Gesamtlage, z.B. wenn der eigene Laden bald wieder geschlossen werden soll oder die Enkel, die jetzt wieder in die Schule müssen, obwohl die Schule gar kein praktikables Testsystem entworfen hat.
Ich hatte etwas sehr Schönes und da ist es sehr intensiv Ostern geworden: Vor vier/fünf Jahren kam eine Frau neu zum Samstagspilgern zusammen mit ihrer ich glaube 9 jährigen Tochter. Die Beiden hatten wohl etwas für sich gefunden, jedenfalls kamen sie wieder und wieder und wurden fester Bestandteil des Samstagspilgerns. Wie das Mädchen mit Begeisterung und meistens ohne Murren die manchmal weiten Strecken mitgelaufen ist, das war beeindruckend. Vor zweieinhalb Jahren sind die beiden, Mutter und Tochter dann nach Porto gereist und von dort aus zu Fuß nach Santiago de Compostela gepilgert. Und sie kamen wieder und waren begeistert und erfüllt. Am Ostersonntag wurde die inzwischen 14 jährige Tochter getauft und ich war eingeladen. Und weil ja bei uns die Präsenzgottesdienste ausgefallen sind, konnte ich dabei sein. Das war ein echtes Glaubensfest. Da freuten sich Menschen, weil sie glaubten oder sich mitfreuten mit der Neugetauften, weil die an Gott glauben kann und das als eine große Bereicherung für ihr Leben gefunden hat.
Was wir heute als unsere Glaubensbotschaft hören, ist ein ganz zentraler Ostertext. Im Johannesevangelium wird zunächst vom frühen Ostermorgen erzählt, wie Maria von Magdala zum Grab läuft und das Grab leer ist. Die Apostel wissen auch keinen Rat, sie gehen wieder von dannen. Und dann steht da der Satz: Maria stand vor dem Grab und weinte. Das letzte, was ihr geblieben war von ihm, wo sie noch etwas gutes tun konnte, indem sie seinen Leichnam noch einmal salbt, ist weg. Es ist ihr von dem, was ihr Leben erfüllt hat, nichts geblieben. Jesus ist tot und sein Leichnam ist verschwunden. Der Engel im Grab kann sie nicht erreichen und als ihr Jesus entgegentritt, erkennt sie ihn nicht. Wie auch? Denn sie hat ja mit eigenen Augen gesehen, dass er gestorben ist. Erst als er sie bei ihrem Namen nennt: MARIA, da gehen ihr die Augen auf und sie erkennt ihn! Sie kann Jesus nicht festhalten, aber das hat zum Grund, dass noch größeres geschehen soll: „Ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott!“, sagt Jesus. Am Ende steht sie da wie zuvor, sie ist allein und hat nichts in Händen. Und doch ist alles anders: Sie ist nicht mehr traurig und einsam zurückgelassen, sondern froh und erfüllt! Sie weiß, dass sie nicht vergessen wird, dass nicht alles bedeutungslos ist, sie lebt mit einer großen Freude weiter: Sie ist geliebt, bei ihrem Namen gerufen, sie wird schrittweise verstehen, dass das, was an Schrecken geschehen war am Freitag zuvor, seine Zuwendung bis ins allerletzte war. Diese Wirklichkeit von Liebe ist für sie zum dauerhaften Bewusstsein geworden durch ihre Begegnung mit ihm. Und dann erfüllt sie seinen Auftrag: Sie geht zu den Aposteln und sagt ihnen: Ich habe den Herrn gesehen.
Man könnte sagen, bei Maria von Magdala ist es Ostern geworden. Und für die Apostel? Dass Maria ihnen von ihrer Begegnung berichtete, dass sie davon gehört hatten sozusagen, das hat nicht gereicht. Sie haben sich eingeschlossen. Ostern wird es durch die Initiative Gottes: Jesus kommt durch ihre verschlossenen Türen hindurch! Und die Begegnung mit ihm wird ihr Ostern: Als erstes erfüllt er sein Testament: Denn am Abend vor seinem Tod hat er es ihnen eröffnet, als er sagte: „Frieden hinterlasse ich Euch, meinen Frieden gebe ich Euch!“ Nun spricht er sie an: „Friede sei mit euch!“ Und weil es so bedeutungsvoll ist, sogar noch ein zweites Mal: „Friede sei mit Euch!“ Er zeigt ihnen seine Erkennungsmerkmale, das, was Menschen ihm zugefügt hatten. Man hat geradezu den Eindruck, dass Jesus mit allem Nachdruck versucht, sie zu überzeugen. Dann bekommen sie, ich sage mal, das Schönste, was es gibt: Sie bekommen eine Aufgabe. Das schönste, was es gibt? Ja, wenn man es so sieht, dass das Lebensglück nicht daran hängt, möglichst schnell möglichst viel zu haben, sondern darin, etwas zu finden, für das es lohnt zu leben, gebraucht zu werden. Ihre Aufgabe, die Jesus ihnen gibt, stammt aus dem Innersten Gottes: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ Noch einmal klingt das Motiv des Erbes an. Und dann werden sie mit der Befähigung beschenkt, einer Gabe, die sogar weit mehr ist. Es wird erzählt, dass der auferstandene Jesus sie anhaucht und sagt. „Empfangt den Heiligen Geist!“ Das Motiv des Anhauchens zeigt die Dimension an. Denn es lässt den Augenblick wach werden, wo Gott dem Klumpen Lehm den Lebensodem einhauchte und den lebendigen Menschen werden ließ. Es geht bei der Sendung, die sie bekommen, um nichts geringeres als um die Neuschöpfung von Himmel und Erde, dass der Himmel auf die Erde kommt, dass die Wirklichkeit Gottes unsere lebendige Wirklichkeit wird. Und dann wird noch etwas Unglaubliches obendrauf gesetzt: Wem Ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben! Sünden vergeben, dies wurde schon bei Jesus als Blasphemie verurteilt, sie werden zu etwas befähigt, was nur Gott kann!
Das ist das große Ereignis der Apostel am Ostertag! So ist es für sie Ostern geworden. Und Sie/Ihr? Ist es für uns schon Ostern geworden? Haben wir etwas von dem Frieden empfangen, der uns zu seinen Erben macht, und wissen wir uns von ihm gesandt, wie der Vater ihn, so wir durch ihn? So dass unser Leben einen Sinnhorizont hat, wir etwas Großes und Wunderbares empfangen haben, was wir sind und zu geben haben? Ich weiß nicht, ob jede und jeder von uns dazu uneingeschränkt ja sagen kann. Auch bei mir selber muss ich ehrlich suchen, ob es wirklich so ist. Aber es gibt ja noch einen nächsten Sonntag, wo vielleicht ich oder Du dran bist.
Bei den Aposteln war das genauso, denn, wie tröstlich, einer der zwölf war nicht dabei. Und der hat es sich nicht leicht gemacht mit dem Osterglauben. Die anderen sagten zu Thomas: Wir haben den Herrn gesehen! Aber er konnte das nicht: Auf das Erzählen der Anderen hin ihre Erfahrung einfach übernehmen: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“, sagt er. Acht Tage darauf, so wird berichtet, also am nächsten Sonntag, kommt Jesus wiederum in ihre Mitte, diesmal ist Thomas dabei. Mich erstaunt, dass er überhaupt noch dabei ist. Denn wenn er das, was die anderen erfüllt, nicht nachvollziehen kann, dann hätte es doch auch so sein kann, dass er die Gruppe verlässt. Vielleicht kann man daraus schließen: Er will es glauben können!
Genau so wird er von Jesus behandelt: Er bekommt alles geschenkt, was er als Voraussetzung zum Glauben benannt hat. Und er gibt das stärkste Glaubensbekenntnis, dass uns von einem der Apostel überliefert ist: „Mein Herr und mein Gott!“
Danach wird uns die Tür geöffnet, durch die wir eingeladen sind, dass es Ostern wird: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du“, sagt Jesus. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Das Wort „Selig“ meint in der Bibel immer ein Lebensglück in vollem Umfang! Das Wort „sehen“ bezieht sich auf eine Erfahrung, die unmittelbar ist. Aber es gibt ja auch vermittelte Erfahrung. Vielleicht wird uns die unmittelbare Erfahrung des Thomas deshalb so plastisch vor Augen gestellt, dass wir der Vermittlung durch das Evangelium glauben können.
Das ist Ostern! Vielleicht an diesem Sonntag geschenkt oder irgendwann anders. Vielleicht auch in einem Suchprozess der Endpunkt einer Entwicklung. Und da kommt noch etwas zum Tragen, was wir an Thomas lernen können: Eigene Fragen und geistige Sperren, die es unmöglich machen, zu glauben, bitte nicht verdrängen, sondern stellen und ausdrücken! Ich habe mal einen Satz gefunden, der mir sehr geholfen hat: Der Glaube stirbt nicht an den Fragen, er lebt in den Fragen! Alles andere wäre ja auch so etwas wie ein Selbstbetrug, wenn es einen Gott gibt, dann will er das gewiss nicht. Bei Augustinus sagt Gott: Du würdest mich nicht suchen, wenn ich dich nicht schon gefunden hätte!
Am Ende der großen Ostererzählung, es ist auch das erste Ende des ganzen Evangeliums, taucht das Wort „Zeichen“ auf. Die Erzählung zuvor klingt ja fast wie mehr als Zeichen. Aber wenn es um Glauben geht, dann gibt es nur Zeichen. Denn wenn ich es beweisen könnte, dann wäre ja kein Glauben. Aber bei jedem Beziehungsgeschehen gibt es nur Glauben, braucht es immer Vertrauen. Sonst wäre ja das Schönste zwischen denen, die sich begegnen, weg. Diese Zeichen, die von Jesus aufgeschrieben sind, haben den einen Sinn, „damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen!“ Leben habt! Tomas Halik hat versucht, „lieben“ zu definieren: Lieben ist, jemand sagen: Ich will, dass du lebst! Dass ihr durch den Glauben Leben habt: Das ist das Ziel des ganzen Evangeliums!
Ich wünsche Dir und mir, jede und jedem von uns aus ganzem Herzen: FROHE OSTERN!