Predigt zum Jahreswechsel 2020/21
von unserem Pfarrer Vornewald
(31.12.2020)
Das Jahr 2020? Abhaken und auf bessere Zeiten hoffen. 2021 holen wir alles nach! Leben tun wir erst wieder, wenn wir die Masken fallen lassen … Solche Sätze scheinen Konsenz zu sein. Ja, 2020 war ein schwieriges Jahr, ein „annus horribilis“. Den Umgang mit einer Pandemie hatten wir nicht gelernt und wohl auch vergessen, dass so etwas möglich ist. Jetzt läuft eine gigantische Impfmaschinerie heran und wir hoffen, dass es bald vorbei ist.
Ich muss für mich sagen, dass ich das so einfach nicht kann und auch nicht will! 365 Tage meines Lebens waren das Jahr, und die habe ich gelebt, habe vieles geschenkt bekommen, an Hilfe, an menschlicher Verbundenheit, habe mit anderen zusammengelebt, wenn auch anders als zuvor. Aber nicht weniger intensiv, vielleicht sogar manchmal im Gegenteil. War es denn nur schlimmm, als der Frühling so still war? Ich habe das anders in Erinnerung. Hat es nicht auch etwas schönes, wenn jede und jeder den anderen schützt durch das Tragen einer Maske? Und das Hamsterrädchen mal nicht mehr so schnell und immer weiter, immer schneller, immer toller lief, war das nicht auch eine Wohltat? Und einige Familien haben mir erzählt, dass so viel Zeit mit ihren Kindern durchaus nicht nur nervig und negativ stressig für sie war. Aber es war leidvoll und manche schlimme Erinnerung bleiben haften. Andere Familien sind an Grenzen gestoßen, ander ist die Einsamkeit in die Seele gedrungen, das Lebenswerk von manchen ist zerstört, keine Einnahmen, kein Publikum, es ist weggerutscht und sie konnten es nicht halten. Als im Herbst die Zeit länger und länger wurde mit Einschränkungen und dann obendrauf dem Lockdown, wo vieles verschlossen blieb, Gaststätten, Museen , Konzerte. Und unsere Gottesdienste nur mit Maske und diversen Einschränkungen, ohne Gesang und mit manchen, die nicht mehr kamen oder besser kommen konnten. Manches war und ist tägliches Ankämpfen gegen menschliche Wünsche und Sehnsucht, wir haben menschliche Nähe vermisst. Wir bleiben merkwürdig unberührt. Und in meiner Welt: alle drei geplanten Pilgerfahrten mussten ausfallen. Für die, die dazu gehören, traurig. Mit einer der Gruppen hat es nichtmals geklappt, dass wir uns mal als Gruppe getroffen haben. Und die letzten Monate, wo man jeden Morgen aufstand mit der Sorge, wieviel Menschen haben sich wieder angesteckt und wieviele Menschen mussten sterben, Und es will und will nicht aufhören und ich will mich nicht daran gewöhnen. In dieser Woche gab es erstmals einen Tag, wo es über 1000 Menschen waren, die mit oder an Corona gestorben sind. Und mit den Zahlen verbunden das Wissen um Menschen, die sich angesteckt haben und das Mittrauern mit Freunden, in deren unmittelbarer Nähe jemand sterben musste.
Dennoch weigere ich mich, das ganze Jahr im Rückblick nur als Verlust anzusehen. Ich weiß nicht, ob Corona eine wichtige Lehre für unsere Wohlstandsgesellschaft war, wie manche kluge Leute behaupten, vermutlich ist es so. Aber dann müssten wir auch bereit sein zu lernen. Daran habe ich auch meine Fragen.
Meine Weigerung kommt aus einer ganz einfachen Beobachtung. Heute ist es genau eine Woche nach Weihnachten, Der damit verbundene Jahreswechsel wird als Hochfest der Gottesmutter Maria begangen. Beim Blick in die Krippe schauen wir heute auf die Mutter dieses Kindes. Gottesmutter Theotokos im griechischen, ist die älteste Benennung Marias. Sie wurde ihr 431 im Konzil von Ephesus gegeben. Dabei war die Fragestellung die, ob es angemessen sei, zu sagen, Maria habe Gott geboren. Oder ob es besser sei, sie lediglich als „Christotokos“ zu benennen, dass sie den Christus, den Messias geboren hat. Die Schule, die „Theotokos“ Gottesgebärerin bevorzugte, setzte sich durch. Das ist ein unauflösbares Geheimnis, sie hat den lebendigen Gott als Mensch geboren. Alle Marienverehrung hat hier ihre Quelle, und ist eigentlich Christusanbetung.
Um diese Wirklichkeit, besser bezeichnet mit, um dieses Wunder geht es am Jahreswechsel. Und im Evangelium hören wir, welche Haltung in diesem Geheimnis bei Maria gewachsen ist. Als die Hirten gekommen waren, wird von ihr berichtet: „Maria bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.“ Sie bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen. Nicht nur die vordergründig schönen tollen Momente, wo etwas gelungen ist, wo es wie manche sagen perfekt war, sondern alles. Vermutlich war der Besuch der Hirten, also der Menschen, die ihre missliche Lage teilten, kein Platz in der Herberge. ausgestoßen von der Gesellschaft, auch nicht nur Grund zur Freude. Dieselben Worte sind noch einmal von Maria überliefert. Als sie den Zwölfjährigen nach dreitägiger Suche wiederfinden im Tempel, da steht abermals geschrieben: „Maria bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.“ Das war mit Gewissheit eine Situation, die leidvoll und schwierig für sie war.
Damit wird eine Haltung beschrieben. Sie weiß doch, wie unglaublich direkt sie durch und mit ihrem Kind in Kontakt ist mit Gott, jeder Tag, jedes Geschehen ist ein Geschehen, wo Gott da ist, echte Gegenwart in ihren ganz normalen Lebensvollzügen. Sie bewahrte alles in ihrem Herzen, hatte nie den Eindruck, „kannste vergessen“, auch wenn es für sie selber nicht leicht war oder sogar nicht zu verstehen. Wenn Gott Mensch wird, dann kommt er ja so nahe, dass er sich gar unterscheiden lässt von anderem . Alles ist in Gott. Im Erinnerungsalbum ihres Herzens hat alles seinen Platz, kommt alles hinein. Denn es ist der Weg Gottes mit ihr. Und sie hat sich ihm zur Verfügung gestellt: „Ich bin die Magd ders Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“ Und sie durfte dann erfahren, wie dieses Kiind in ihr wächst und die Freude über die Geburt. Dieser Weg Gottes geht nun weiter, und sie geht ihn mit.
Und was für Maria gilt durch ihr Kind, das gilt wegen ihres Kindes auch für uns. Gott geht seinen Weg mit uns, wir können seine Spur in allem entdecken, seine Nähe wahrnehmen. Der Name des Kindes ist doch: Immanuel, Gott mit uns! Alfred Delp ist dabei für mich der große Zeuge: In Plötzensee und das bedeutete, mit gefesselten Händen, tage- und nächtelangen Verhören und Folter und Isolationshaft hat er geschrieben: Eins ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Szunden hängenund durchleben sie nicht durch bis zu dem Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für sehr (…), für alles Schöne und auch frü das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort.
Ich möchte das Jahr mit der Frage beenden und lade Euch/Sie ein, es mit zu tun: Wo sind die Spuren Gottes im eigenen Leben? Und auch im Leben zwischen den Menschen, im kleinen wie im großen? Was hat er uns gezeigt, was geschenkt? In allem wollte er Begegnung. Was wir wohl finden, wenn wir uns auf diese Frage einlassen. Wenn wir nicht einfach nur die Situation dieses Jahres mit anderen Erfahrungen vergleichen und jammern, festgefahren in Erwartungen, die sich so wie wir meinten, nicht erfüllt wurden. Sondern wenn wir jede Erfahrung für sich stehen lassen und auf uns wirken lassen. Kommen wir vielleicht zu ähnlichen, erstaunlichen Einsichten wie Alfred Delp in der Hölle von Plötzensee.
Ja, vielleicht konnte manche schwierige Beschränkung sogar zur Tür zu einem Bewusstsein der Wirklichkeit Gottes im eigenen Leben werden. Wenn wir es nur zugelassen haben. Und vielleicht können wir daraus Einsichten gewinnen, die uns sonst verborgen bleiben. Muss es wirklich immer Wachstum geben, oder anders: was ist Wachstum, was war mein/unser Wachstum im vergangenen Jahr? Waren wir frei? Freiheit besteht doch darin, sich nicht gefangen nehmen zu lassen und nicht in die Angst zu fallen. Was hat mich frei sein lassen, auch von einem Besetztwerden durch ein Virus? Manche der wertvollsten Gotteserfahrungen in der Bibel haben Menschen in der Wüste empfangen! Vielleicht ist manches beschämend im Nachgang, weil ich/wir haften geblieben sind im Vergleichen? Was die große gesellschaftliche Welt angeht, so beschäftigt mich vor allem die Frage: Unser großes Menschheitsproblem ist, dass wir dringend aufhören müssen, unsere Welt so zu behandeln, dass wir unseren Kindern und Enkeln eine unwiederbringbar zerstörte Welt hinterlassen. Wären die Milliarden, die jetzt zur Verfügung gestellt werden um das gegenwärtige Leid zu lindern, nicht vielleicht für anderes wichtiger, für zukünftig Lebende, die wir in ungleich größeres Leid stoßen, weil wirdie Ressourcen verbrauchen, um wirksame Schritte zu tun, die Erde zu bewahren.
Und noch etwas folgt daraus: Maria bewahrte alles in ihrem Herzen und dachte darüber nach! Daraus folgt doch für Maria die Einsicht, dass der Weg Gottes mit ihr weitergeht, dass sein Name ist: Gott mit uns, Wer so sein Leben erinnert, der kann Kraft und Vorfreude schöpfen auf das, was kommt. Und die Kraft erbitten, sich öffnen zu können, auf das, was je jetzt auf mich/auf uns wartet, viele einmalige Situationen, die Gabe und Aufgabe zugleich sind? Auch hier soll Alfred Delp unser Zeuge sein. Von ihm stammt die Einladung: Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt!