Herzlich Willkommen

Predigt zum 6. Sonntag der Osterzeit 2021

von unserem Pfarrer Christian Vornewald

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes.

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:

Wie mich der Vater geliebt hat,

so habe auch ich euch geliebt.

Bleibt in meiner Liebe!

Wenn ihr meine Gebote haltet,

werdet ihr in meiner Liebe bleiben,

so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe

und in seiner Liebe bleibe.

Dies habe ich euch gesagt,

damit meine Freude in euch ist

und damit eure Freude vollkommen wird.

Das ist mein Gebot,

dass ihr einander liebt,

so wie ich euch geliebt habe.

Es gibt keine größere Liebe,

als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.

Ihr seid meine Freunde,

wenn ihr tut, was ich euch auftrage.

Ich nenne euch nicht mehr Knechte;

denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut.

Vielmehr habe ich euch Freunde genannt;

denn ich habe euch alles mitgeteilt,

was ich von meinem Vater gehört habe.

Nicht ihr habt mich erwählt,

sondern ich habe euch erwählt

und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt

und dass eure Frucht bleibt.

Dann wird euch der Vater alles geben,

um was ihr ihn in meinem Namen bittet.

Dies trage ich euch auf,

dass ihr einander liebt.

Evangelium unseres Herrn Jesus Christus

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Kürzlich war in der Frankfurter Allgemeinen ein Kurzportrait über die chinesische Filmemacherin Chloe Zhao. Sie hatte einen Oscar für ihren Film Nomadland bekommen. In ihren Dankesworten teilte sie mit dem Publikum eine Kindheitserinnerung. Und sie versuchte, damit den Kern ihrer Kunst zu umreißen. „Als Kind zitierte ich mit meinem Vater immer chinesische Gedichte; wer sie sich am besten merkte, beendete die Sätze des anderen. Ein Satz, der mir bis heute geblieben ist, lautet: Menschen sind zum Zeitpunkt ihrer Geburt von Natur aus gut.“ Sie zitierte diesen Satz auf Mandarin und fügte hinzu: „Egal, wohin ich reiste, ich fand immer Güte in den Menschen.“

Was für eine Behauptung, nein besser: Sichtweise. Von Natur aus sind wir zum Zeitpunkt unserer Geburt gut. Diejenigen, die das große Glück hatten, Eltern zu werden, werden diesen Satz tief emotional nachvollziehen. Was für ein überwältigendes Glück ist die Geburt, der erste Schrei: Leben. Von Natur aus gut! Also ist alles, was an uns nicht gut ist, nachträglich uns zugekommen. Das rührt an eine große Crux: Das Gute kann nur in Freiheit angestrebt werden, aber genau die Freiheit ist auch das Einfallstor dafür, dass das Gute nicht gewählt wird. Und dann von anderen nicht erfahren wird, im Gegenteil: es wird viel Böses erfahren. Das Böse aber prägt und setzt negative Kräfte frei. Aus Menschen, die gutes nicht erfahren, werden so Menschen, die gutes nicht tun. Ja, die Böses tun. Chloe Zhao möchte sich in ihren Filmen den Blick in den Ursprung nicht nehmen lassen, sie versucht, in tragischen traurigen Welten die Güte zu entdecken und zu erzählen, geht offen mit Menschen um. Es ist wohl gar nicht so leicht, wenn ich mir sage, dass ich von Natur aus gut bin: Ist das so? Und wenn ich mir dies von den Anderen sage: Jede und jeder ist von Natur aus gut! Wie schnell ist man dabei, dies als naiv abzutun.

Aber wenn wir daran glauben, dass wir geschaffen sind, und damit gewollt, von einem Gott, der ganz gut ist?! Und wenn bei der Geburt jedes Menschen der alte Refrain nachklingt aus den ersten Seiten der Bibel: Gott sah, dass es sehr gut war! Wenn es aber gut ist, dann auch liebenswert. Wenn das Gute zur Lebenshaltung wird, dann nennt man es Güte. Gott sah, dass es sehr gut war! Ich möchte mir diesen Glauben nicht zerstören lassen. Es soll keine Empörung über wirklich Böses, verletzendes, kränkendes geben, in mir und in anderen, das mir diese Sicht nimmt.

Mein Glaube sagt mir, dass einmal einer sich dem Guten ganz verpflichtet wusste, geliebt hat, wirklich geliebt! So, dass Menschen heil wurden, quasi in ihren Ursprung zurückkehren konnten, Vergebung erfahren und geben konnten, sich die Welt in Augenblicken aufhellte, wie sie eigentlich ist. Er war wie ein Engel auf Erden. Niemand hat Gott je gesehen, er hat Kunde gebracht. Und er hat das Gute durchgetragen bis an die äußerste Grenze, ist geblieben im Vater, wie der Vater in ihm. Er konnte alle Kompromisse schließen, aber da, wo es keinen Kompromiss geben kann ohne das Gute zu verletzen, da hat er standgehalten, bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Und diese Wirklichkeit war so sehr ein Festhalten am Guten, dass das Kreuz, sein Zeichen, selber zum Zeichen für das Gute schlechthin wurde. Denn das Gute tun, bedeutet immer zu lieben. Er, Jesus, habe am Kreuz das Böse totgeliebt, hat Klaus Hemmerle formuliert.

Glaubt an die Güte, steht in der Überschrift über das kleine Portrait von Chloe Zhao. Ich möchte auch an die Güte glauben, und ich lade ein, dieser Sehnsucht in uns nachzuspüren und sie zu leben. Wenn ich mich von meinen Verletzungen leiten lasse, die wir wohl alle irgendwann erleiden, dann gebe ich dem Bösen in mir Raum, das zu den Verletzungen geführt hat. Ich will mich von der Güte leiten lassen. Es ist ein Irrtum, den Menschen begehen, wenn sie meinen, mit dem Hass auf die, die aus ihrer Sicht nicht gut sind, könnte Gutes entstehen. Aber wie schnell macht man da mit?!
Seit der Auferstehung von dem, der das Gute durchgetragen hat bis in den Tod, hallt ein Satz durch unsere Seele, ein inneres Maß, eine Gewissheit, was unbedingt zu tun ist: WIE ICH EUCH GELIEBT HABE! Ohne es gelernt zu haben, weiß jede und jeder irgendwie, dass es so ist. Und doch, wem gelingt es?

Und so geht die Tragik immer weiter: So wie wir uns gegenseitig ansehen, prägen wir uns. Die negative Energie überträgt sich von einem zum anderen und wie oft nehmen wir uns gegenseitig die Kraft zum Guten, indem wir uns in Worten oder unausgesprochenen Gesten sagen, wie wir uns verachten, du bist schlecht, du taugst nicht. Wie soll man da Selbstbewusstsein aufbauen, das heißt den Glauben entwickeln: Ich bin von Natur aus gut? Nur wenn ich das glauben kann, kann ich doch selber Gutes bewirken. Und das gilt nicht nur im Umgang mit mir selbst, sondern auch im Umgang mit anderen! Dabei zeigt sich noch eine weitere Verzweigung der Tragik: So wie wir uns gegenseitig ansehen, prägen wir uns, man muss noch hinzufügen: Wie wir selber meinen, dass die Anderen auf uns sehen, prägen wir uns. Und dann spiegeln wir uns selber in unserem Blick auf die Anderen, die aus der eigenen Sicht nichts Gutes in uns sehen. Es ist ein Teufelskreislauf, aus dem es nur einen Ausweg gibt: Jesus nennt ihn das neue Gebot, das er uns gibt: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Sophie Scholl, die am Sonntag vor 100 Jahren geboren wurde, hatte eine Lebensmaxime, die das lebendig ausdrückt: „Man muss einen wachen Geist und ein weiches Herz haben.“

Leider gibt es da eine überkommene kranke kirchliche Moralvorstellung, wo man meinte, diese Gundwirklichkeit der Selbstannahme und Eigenliebe zu überspringen, wo man meinte, es sei erstrebenswert, sich selber schlecht zu fühlen. Und ich müsse große Opfer bringen, damit ich irgendwann mal gut werde. Nein, es ist etwas ganz anderes, wenn es in dem alten Lied heißt: „ … denn meine Sünde brennt in mir.“ Das ist dann ein positiver Impuls, wenn es ausdrückt, dass das Erspüren des Geliebt seins in mir zum Schmerz wird, weil es mir zeigt, wie wenig ich geliebt habe.

Aber die Liebe, die einer schenkt, wächst immer aus einem selber Geliebt sein heraus: „Wie der Vater mich geliebt hat, so habe ich euch geliebt“, sagt Jesus. „Bleibt in meiner Liebe.“ Also, lasst Euch den Glauben an das Gute nicht nehmen! Und versucht, einem anderen den Glauben an das eigene Gutsein zurück zu geben, wenn er ihn verloren hat. Wenn eigenes Lieben aus dem Geliebtsein durch einen anderen kommt, dann ist der Ursprung von allem LIEBE. Denn sonst würde es ja Liebe gar nicht geben. Gewiss ist das Wort „Vater“ auch ein ambivalenter Erfahrungsraum, mit vielen Enttäuschungen belastet. Aber im Ursprung meint Vater das Zusammenkommen von Liebe und Macht in einer Urerfahrung. Es ist vielleicht der Höhepunkt aller biblischen Schriften, wenn es im Johannesbrief heißt: Gott ist Liebe, wir haben das heute in der Lesung gehört. Religionswissenschaftler sagen, dass das, was von Jesus originär eingebracht wurde, das neue durch ihn, darin liegt, dass er Gott seinen Vater nannte. Wenn wir Gott so anreden, dann müssen wir uns immer bewusst machen, dass wir am Sohnsein Jesu Anteil bekommen haben und damit an seiner Beziehung zu Gott.

Dass jemand sich schuldig fühlt, das wird beim Geliebtsein nicht angestrebt: Das Motiv der Liebe und damit das eigene gute Motiv ist immer Freude! Deshalb wird in unmittelbarer Nähe zu seinem neuen Gebot das Wort Freude hörbar: „Das habe ich Euch gesagt, damit meine Freude in Euch ist und Eure Freude vollkommen wird!“

Und in dieser Atmosphäre, wir können auch sagen, in diesem Heiligen Geist zwischen uns kann Vertrauen wachsen. Da klingt ein weiteres Wort auf: Ich nenne Euch Freunde. Und seine Begründung ist, dass er sich ihnen doch wirklich geöffnet hat: Ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe! In diesem Heiligen Geist, wenn der Geist Jesu lebendig wirkt unter uns! Wie könnte auch jemand von sich behaupten, er könne lieben wie wir von Jesus geliebt sind. Das geht nur in seinem Geist.

Das bedeutet eine doppelte Entmachtung: Denn dann können wir das, was Not tut, was uns heilt und Freude schenkt, nicht machen, es wird uns gegeben. Und: Der Geist ist unbegrenzt: Wir dürfen die Möglichkeit, dass etwas Gutes geschieht, nicht eingrenzen. Der Geist wirkt, wo er will. Die Liebe wirkt sich weit aus, der liebe Gott hat ein viel größeres Herz, als die Kirche Arme hat. Es ist möglich, dass wir unser ureigenes Anliegen verwirklicht finden in Menschen und in Sitautionen, wo wir es nicht erwarten.

Wir können den Geist nicht machen und haben ihn nicht in der Hand! Aber wir dürfen hoffen, dass Gott nichts lieber tut, als uns zu beschenken. Er hat uns ja auch schon beschenkt: Ich habe euch erwählt: Wir sind von Natur aus gut, wir sind von Gott her gut! Und wir dürfen hoffen, dass sich sein Geschenk auswirkt, immer so, wie es gerade ist. Z.B. auch im Zusammenleben von Geimpften mit denen, die auf eine Impfung noch warten müssen. Es ist der Schlüssel, der Türen öffnet, wenn Jesus sagt: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!