Predigt zum 31.01.2021
von unserem Pfarrer Vornewald
Evangelium Mk 1, 21–28
Er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat
Aus dem heiligen Evangelium nach Markus.
21 In Kafárnaum ging Jesus am Sabbat in die Synagoge
und lehrte.
22 Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre;
denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat,
nicht wie die Schriftgelehrten.
23 In ihrer Synagoge war ein Mensch,
der von einem unreinen Geist besessen war.
Der begann zu schreien:
24 Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret?
Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen?
Ich weiß, wer du bist:
der Heilige Gottes.
25 Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn!
26 Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her
und verließ ihn mit lautem Geschrei.
27Da erschraken alle
und einer fragte den andern: Was ist das?
Eine neue Lehre mit Vollmacht:
Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.
28 Und sein Ruf
verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.
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Wer ist Jesus Christus? „Die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“ Wir befinden uns bei diesen Worten im ersten Kapitel des Markusevangeliums. Bei Markus gibt es keinen Bericht über die Kindheit Jesu wie im Lukas- oder Matthäusevangelium, wo anhand der absolut besonderen Umstände seiner Geburt schon vorweg Jesus vorgestellt wird als der erwartete Messias, als der Sohn Gottes. Bei ihm wird Jesus vorgestellt mit einigen prägnanten Ansagen und dazu Erzählungen, die sie illustrieren. Zu diesen Ansagen gehört ganz wesentlich die Aussage: Er redete wie einer, der Vollmacht hat! War er glaubwürdig? Weise? War seine Rhetorik bestechend? Strahlte er Kraft aus? Er hatte was zu sagen? Sein Auftritt muss wirklich stark gewesen sein, die Evangelien berichten von Massen, die ihm in seiner Anfangszeit zuliefen. Aber was ist davon zu halten? Ist Eindruck machen nicht etwas fragwürdiges? Zumal wenn eine ganz eigene Sogwirkung entsteht, wo einer die andere ansteckt und am Ende alle etwas toll und erstrebenswert finden? Hatte uns die Bildzeitung nicht schon so weit, dass wir vom nächsten Bundeskanzler Karl Theodor zu Guttenberg träumten? War nicht Martin Schulz das Allerbeste, was der SPD passieren konnte, Parteivorsitzender mit 100 % Zustimmung! Ich saß beim Stadtkonvent der evangelischen Pfarrer in Magdeburg, als eine Pfarrerin mit der Nachricht reinplatzte: Er hat es geschafft! Es gab in der Runde Jubelstürme. Gerade war Barack Obama zum Wahlsieger erklärt worden.
War Jesus ein Superstar? Eben der Messias? Einer, auf den man alles projezieren konnte und kann? Die Erzählung, die illustriert, was mit der Ansage gemeint ist, nimmt einen anderen Verlauf: Da wird nichts von der Bewunderung durch ganz ganz viele berichtet, dass noch mehr Menschen als je zuvor die fifth Avenue füllten … Da war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Eine Situation, wo man hilflos daneben steht, nur ohnmächtig dabei bleiben kann, wenn man es denn aushält. Und dann wird ziemlich archaisch erzählt, dass dieser Mann von seinem Leiden befreit wird. Und wenn man in diese Erzählung aus dem Geist jener Zeit hineinhorcht, kann man eine Andeutung heraushören: Denn von den unreinen Geistern konnte nach damaliger Anschauung nur mit göttlicher Kraft befreit werden. Natürlich ist es für uns befremdend, wenn die Dämonen anfangen zu sprechen. Aber vielleicht ist das bleibende dieser Erzählung, dass sie erzählt, dass Jesu auf einer anderen Ebene antritt: Irgendwie unterhalb der offensichtlichen Wirklichkeit. Dort, wo der todernste Streit von Gut und Böse stattfindet, von Wahrheit und Lüge, von Leben und Tod! Er redete mit Vollmacht, es geht um eine ganz andere Wirkung: er befreit Menschen aus bösen Mächten, aus Abhängigkeiten, aus Fesseln und Teufelskreisen der Lüge. Er überwindet die Schicksalsgemeinschaft der Tragik, die von Mensch zu Mensch, von Generation zu Generation die Menschen gefesselt hält, durch immer neues Versagen und Mangel an Liebe, so dass immer wieder das Misstrauen die Oberhand behält. Die lange Geschichte von Verletzungen fügt aus dem Verletztsein immer wieder neue hinzu, von Mensch zu Mensch, von Tag zu Tag. In der Geschichte kommt etwas zutage, was unter der Oberfläche brodelt, was irgendwie niemand von uns kontrollieren kann, aber doch zur prägenden Wirklichkeit wird, die sich ausdrückt und unser Leben bestimmt. „Schweig und verlass ihn!“ Man hört heraus, wie dieser Mensch zur Ruhe kommt, wie er aufatmet, wie etwas, was auf dem Herzen lag, verschwunden ist, so wie Fesseln gelöst sind oder eine verschlossene Tür sich öffnet. Frei sein, befreit zu mir selbst, dass ich mich atme und spüre und tun kann, was ich will! Ach, wenn er das doch auch in Dich und mich hineinsprechen würde! Schweig und verlass sie, schweig und verlass ihn!
Diese untergründige Wirklichkeit, die da so plastisch beschrieben wird, kann natürlich auch auf falsche Bahnen führen. Man fängt an, hinter Menschen und Geschehnissen noch ganz andere Kräfte zu vermuten, es beginnt eine Spirale der Angst, das Misstrauen steigt unauslotbar an, wir sehen hinter allem böse Mächte, die uns bestimmen. Eine bestimmte Religiösität kann zu Angstzuständen und zu schwerem Leiden führen. Wer auf dieser Klaviatur spielt, kann Menschen manipulieren und fanatisieren. Und gerade weil es ungreifbar ist und im Ungewissen bleibt, kann das eigene Wissen darum zu einer Gewissheit führen, die eine große Macht hat.
Doch solche Leute mögen sich nicht auf diese Stelle berufen. Sie sind selber gefangen und brauchen Jesus, der in ihre Seele spricht: Schweig und verlass ihn! Beim Apostel Paulus gibt es einen ganz einfachen und einleuchtenden Satz: Lasst euch vom Bösen nicht besiegen, sondern besiegt das Böse mit dem Guten. Welche Kraft hat in Jesus gewirkt, als dieser Mann frei wurde? Nichts als das Gute, Liebe, wirkliche, ehrliche Zuwendung, das ist seine Haltung. Und die erweist sich als mächtig, als göttliche Vollmacht, bis in die Untiefen der eigenen Seele hinein.
Wenn wir uns nun fragen, welche Kräfte in uns wirken, in einer Faszination oder auch in Ängsten, ob sie von Gott sind oder nicht, dann gibt es ganz einfache Kriterien. Das erste ist die Kraft der Worte des Evangeliums, da ist etwas ehrliches, unbestechliches, überführendes, aber zugleich Gutes zu hören und zu spüren. Seine ganz neue Lehre, an manchen Stellen kann man mit Händen greifen, wie das anders ist, wie ein neuer Horizont sich öffnet. Hoffentlich gibt es Worte Jesu, die Sie/Dich beeindruckt haben, die gewirkt haben, die uns führen und halten und öffnen und befreien. Das nächste ist die Einsicht, dass das Böse auch zu sich selber böse ist. Im Magdeburger Dom gibt es unter dem uralten Osterleuchter einen Fuß, den der Künstler Heinrich Apel geschaffen hat. Da schlingt sich eine Schlange um den Leuchter herum. Wenn man hinsieht, entdeckt man, dass der Kopf der Schlange am Ende der Schlange ist wie ein Scharnier. Und vom Ende her frisst sich die Schlange selber auf. Das Böse ist auch zu sich selber böse, wer sich dem Bösen öffnet oder es zulässt, weil er meint, damit einen Vorteil zu bekommen, der tut sich nichts gutes. Er zerstört sich selbst. Genau hier sagt Jesus, schweig und verlass ihn. Das nächste liegt in der Einsicht, dass etwas Dir/mir wirklich guttut. Hast du einen Zugewinn an innerer Freiheit, die dich selbstbestimmt werden lässt, einen Zugewinn an Lebensfreude und daraus an Lebenskraft zum Guten, einen Zugewinn an Wahrheit und eigener Kraft zur Wahrhaftigkeit, an Vertrauen und darin Tatkraft das zu tun und zu leben, was deine Aufgabe ist? Darin liegt die Einladung, dass wir uns nicht manipulieren lassen, sondern das Bewusstsein auszuprägen, dass wir befreit werden zu uns selbst und wirklich dem, was gut ist, auf dass wir ein Selbstbewusstsein haben, dass von Gott kommt, aus göttlicher Vollmacht, aus seinem Wort und seinem Willen. Das ist wie ein Anker in den Untiefen des eigenen Lebens. Wir haben nur ein Boot aus Papier, in dem wir schaukeln, singt Reinhard Mey in einem Liebeslied zu seiner Frau. Darin ist eine Einladung des Umgangs mit den eigenen Ängsten. Es stimmt nicht, dass man ohne Angst sein kann, das wäre auch gar nicht gut. Aber die Angst kann den Platz bekommen, der ihr zusteht in uns: Sie kann uns beschützen, sie kann an Erinnerungen in uns wachrufen, so dass wir etwas nicht wiederholen, was nicht gut war für uns. Aber die Angst, die Ängste haben eine dienende Funktion, keine beherrschende. Wenn die Ängste uns dienen, dann können wir sie angstfrei befragen und uns dem stellen, was sie uns sagen, können dann frei bestimmen, ob wir ihrem Rat folgen oder um eines größeren Guten willen vielleicht auch nicht. Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen, so ein Satz gehört hierhin.
Mir tut eine solche Zusage gut in Tagen, wo so viele Ängste florieren, die wie Spiralen sich manchmal von dem ersten Impuls nach der Sorge um die Gesundheit, der eigenen und der, der anderen, längst losgelöst haben. Was wohl alles in so und hinter so einem Virus steckt? Irgendwelche bösen Mächte, die sich ausbreiten … Lass Dir zusagen: Schweig und verlass sie, Schweig und verlass ihn, von dem Gott, dem wir vertrauen, der will, dass wir offen und frei durch unser Leben gehen, von dem Gott, der uns liebt, der will, dass wir leben!