Herzlich Willkommen

Predigt zum 2. Fastensonntag 2021

von unserem Pfarrer Vornewald

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus.

In jener Zeit

nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite

und führte sie auf einen hohen Berg,

aber nur sie allein.

Und er wurde vor ihnen verwandelt;

seine Kleider wurden strahlend weiß,

so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.

Da erschien ihnen Elíja und mit ihm Mose

und sie redeten mit Jesus.

Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind.

Wir wollen drei Hütten bauen,

eine für dich, eine für Mose und eine für Elíja.

Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte;

denn sie waren vor Furcht ganz benommen.

Da kam eine Wolke und überschattete sie

und es erscholl eine Stimme aus der Wolke:

Dieser ist mein geliebter Sohn;

auf ihn sollt ihr hören.

Als sie dann um sich blickten,

sahen sie auf einmal niemanden mehr bei sich außer Jesus.

Während sie den Berg hinabstiegen,

gebot er ihnen,

niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten,

bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei.

Dieses Wort beschäftigte sie

und sie fragten einander, was das sei:

von den Toten auferstehen.

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Manche wichtige Themen, die die Bußzeit betreffen, in der wir auf Ostern zugehen, sind kaum jemand bewusst. Vermutlich, weil sie nicht in das Schema passen, das wir von dieser Zeit haben. Ich habe den Eindruck, wir haben so etwas wie eine Schere im Kopf. Das beginnt schon bei dem Namen, den diese Zeit landläufig hat: Fastenzeit. Als Kinder haben wir gelernt, nun bleibt die Bonbondose eine Zeitlang geschlossen, nichts süßes, und am besten all die Dinge nicht, die Du gerne magst. Ist nicht so schlimm: Ist ja nur eine Zeitlang, bald darfst Du das alles wieder. So wurde dann Ostern zur „Erlösung“?! Inzwischen hat sich das verändert, entweder, dass man entdeckt, dass es um mehr geht oder es wird so eine Art Wellnessheilkur oder verkommt zu einem Programm zum Abnehmen. Der Winterspeck muss runter, bald ist wieder Bikinizeit. Aber es ist auch noch etwas anderes zu beobachten: Man nimmt das Ganze mit Fasten nicht mehr so ernst, und entzieht sich damit dem Würgegriff der Religion als Spaßbremse. Ich habe ein Buch mit Kirchenkartoons, die teilweise richtig böse sind. Mir ist das Buch wichtig, denn es hilft mir beim Reflektieren. Ein Kartoon tut richtig weh. Ein katholisches Ehepaar im Bett: Er möchte gerne zu ihr. Sie wendet sich ab und sagt: ich hab keine Lust. Darauf er mit strahlendem Gesicht: Na super, dann ist es keine Sünde! Je mehr ich mir verkneife, alle Lust und Freude in mir unterbinde, desto heiliger?

In dieser Woche habe ich mehrere Leute, die in meinem Gemeindeumfeld sind, gefragt, ob sie denn wüssten, was an diesem Sonntag als Evangelium dran ist. Keiner konnte mir eine Antwort geben. Es ist die Verklärung dran, und zwar jedes Jahr wieder. Der erste Fastensonntag, wo Jesus vierzig Tage lang in der Wüste ist und fastet, und vom Teufel in Versuchung geführt wird, der ist in unserem Bewusstsein fest verankert, aber das Evangelium von der Verklärung am zweiten Sonntag ist wenig bis gar nicht präsent.

Mich macht es traurig, dass dieser Sonntag mit seiner Botschaft so wenig bewusstseinsbildend ist. Denn es wird deutlich, dass diese Zeit viel größer ist und mehr bedeutet als Fasten. Es geht darum, auf ein Ereignis zuzugehen, das ein absoluter Neubeginn bedeutet, als der Anfang der Neuschöpfung von Himmel und Erde: Ostern! Diese neue umwerfende Wirklichkeit von Leben ist schon Teil unseres Lebens geworden in der Taufe. Es geht in dieser Zeit nicht um einen Verzicht auf Leben, sondern um mehr Leben, es geht darum, dass wir werden, was wir sind von Gott her: lebendig! An Ostern hat das Leben den Tod besiegt, sagen wir. Ja aber dann muss uns nicht mehr die Angst vor dem Tod bestimmen und am Leben hindern, sondern von nun an gründet das Vertrauen tiefer und öffnet und befreit uns zu uns selbst und zu anderen, zum Leben.

Genau darauf möchte uns der zweite Sonntag dieser Zeit einstimmen. Es geht um eine ganz außergewöhnliche Erfahrung, die die Jünger machen dürfen, ein Erfahrung von Licht, von Herrlichkeit, eine Erfahrung, die umhüllt wird von der Wolke Gottes, die alles verhüllt in das Geheimnis des unergründlichen Gottes und doch durchlässig ist von Licht, die Zeichen ist von seiner Gegenwart unter uns.

Es geht los mit einem Wort, dass hierzu ganz wesentlich ist: Jesus nahm Petrus, Jakobus und Johannes „beiseite“. Hier geht es um sie, nicht um Mitlaufen mit anderen, hier wartet etwas Besonderes auf sie: Kommt mit. Gott geht es um unser Eigensein. In unserem landläufigen Fastenbewusstsein wäre es vielleicht sogar verdienstvoll gewesen, wenn die Jünger gesagt hätten: Nimm doch die anderen mit, ich verzichte.

Beiseite: Kommt heraus aus Eurem täglichen Einerlei, lasst Euch herausrufen aus dem Wie Du mir, so ich dir, aus dem Gerede, lasst die Sau zurück, die gerade durchs Dorf getrieben wird. Kommt heraus, ja auch aus der Corona Pandemie und Hysterie. Die erste Botschaft ist: Leben ist mehr als die Hast nach Überleben! Kürzlich hat mir jemand gesagt: Das Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Karriereleiter …

Er führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Nur sie allein. Es gibt im französischen dafür ein Wort, dass es im Deutschen so nicht gibt: Solitude. Es steht als ein wichtiger Begriff in einem Flyer, in dem sich der Karmel vorstellt, in dem eine Freundin von mir lebt. Ich habe den Begriff übersetzt gefunden mit Einsamkeit. Aber das ist es nicht. Vielleicht in dem Sinn, wie auf der Spruchkarte, die bei mir im Zimmer hängt. Darauf steht neben dem Bild mit einem Regenbogen: Die Einsamkeit ist das Audienzzimmer Gottes. Solitude meint eher: Für sich sein. Dafür muss man sich herausnehmen, nicht nur mitschwimmen. Das hat etwas zu tun mit der eigenen Leere, die ich nur schwer aushalten kann und schnell zuschütte mit Aktivitäten, mit Musik und Erlebnis und viel Krach. Es geht um Warten, um die Hoffnung, dass Gott die Leere füllt.

Die Jünger werden von Jesus auf einen hohen Berg geführt. Dort ist die Perspektive eine andere, „Vieles, was vorher groß und wichtig erschien, wird mit einem Mal nichtig und klein“, singt Reinhard Mey über den Wolken. Dorthin, wo sie weit weg sind von dem, was sonst das Leben zustellt, was die Sehnsucht verschüttet und die Angst hintergründig regieren lässt über mich und mein Leben, dorthin werden sie von Jesus geführt. „Und er wurde vor ihnen verwandelt; seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.“ Hier ist neues, etwas anderes möglich. Die Perspektive ist verschoben. Es geht nicht darum im Leben, der beste Bleicher oder sonstwie zu werden, sondern um ihn, dessen Kleider so strahlend weiß sind, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Alle Vergleiche verblassen, werden relativ, er ist einzig und Du und ich in ihm.

Und die ganze große Erwartung, die sich aufgebaut hat in den Erfahrungen der anderen, die vor uns waren und auf deren Schultern wir weiter schauen, die Sehnsucht, die wir darum für unmöglich möglich halten, erfüllt sich hier: Elija und mit ihm Mose erscheinen und flankieren ihn. Petrus möchte es festhalten. Petrus, der in den Erzählungen der Evangelien immer wieder danebenhaut und darum für uns so wichtig ist als Brücke, stellt genau die falsche Frage. Dies, was sie hier erfahren, kann man nicht festhalten, immer, wenn Du es dir habhaft machen willst, entzieht es sich Dir, Du hast Gott nicht in Händen. Denn wenn Du ihn in Händen hast, dann ist es nicht mehr der wirkliche Gott in Deinem Leben, sondern nur wieder etwas von Dir selbst. Es ist etwas von dem Vielem geworden, das relativ ist. Es werden keine drei Hütten gebaut. Es ist auch nichts, was Du mal so einbringen kannst, weil es interessant ist, und Du mit ihm. Beim Heruntergehen verbietet er es ihnen ausdrücklich.

Etwas anderes bleibt von dem, was aus den Händen gleitet, was ihrem Zugriff entzogen ist: Sie bekommen eine Weisung: Zunächst wird der strahlende Jesus ihren Blicken entzogen, aber nicht weggenommen, sondern Teil des Geheimnisses Gottes, das in der Wolke unser Leben lichtvoll überschattet. Die Wolke ist schon bei Mose Zeichen der Gegenwart Gottes. Und in der Wüste ist es eine große Verheißung auf Regen, wenn eine Wolke aufsteigt! Und dann wird berichtet: „Es erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören!“ Dies ist die zweite Stelle in den Evangelien, wo die Stimme Gottes zu hören ist! Und wieder geht es um Jesus. Das erste Mal war bei seiner Taufe. Da wird Jesus angesprochen und wir sollen es hören: „Du bist mein geliebter Sohn …“, diesmal sind wir die Adressaten: „Dieser ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ Er ist die Stimme Gottes für uns.

Am Ende, als sie vom Berg heruntergehen, ist alles wie zuvor. Aber die Jünger haben etwas erfahren, was sie beschäftigt, wie es in dem Text heißt. Nicht nur, weil Jesus ihnen sagte, „bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist“, sondern weil ihnen etwas geschenkt wurde, was schon Teil der Auferstehung ist, einen Einblick in die Herrlichkeit Gottes und damit einen Einblick, wohin es geht und wozu alles ist.

Die österliche Bußzeit ist eine Einladung, dass wir uns mit Petrus, Jakobus und Johannes beiseite nehmen und auf einen hohen Berg führen lassen. Wir sind eingeladen, eine erste Ahnung von Ostern zu bekommen, dass uns die Augen aufgehen für das, was Menschsein in der Verheißung Gottes ist. Und so einzig werden, nicht nur im Vergleich mit anderen etwas gelten. Unsere Sehnsucht, die uns treibt und die wir als Freude und Last in uns tragen, in der Menschen von Anfang an immer schon nach Gott gesucht haben, sie geht nicht ins Leere. Jesus wird vor ihren Augen verwandelt, und wir mit ihm, vielleicht wie aus der Raupe zum Schmetterling. Sieh doch Elija, der vierzig Tage und vierzig Nächte lang durch die Wüste gewandert ist zum Gottesberg und dann Gott wusste im leisen Säuseln (1 Kön. 19), sieh doch Mose, der das Volk vierzig Jahre lang durch die Wüste geführt hat ins gelobte Land! Menschen in der Fastenzeit sind die, die sich mit dem Wort Jesu beschäftigen und einander fragen, was das sei: von den Toten auferstehen.