Predigt zum 25.07.2021
von unserem Pfarrer Christian Vornewald
Aus dem Evangelium Jesu Christi nach Johannes.
In jener Zeit
ging Jesus an das andere Ufer des Sees von Galiläa,
der auch See von Tibérias heißt.
Eine große Menschenmenge folgte ihm,
weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.
Jesus stieg auf den Berg
und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder.
Das Pascha Sprich: Pas-cha., das Fest der Juden, war nahe.
Als Jesus aufblickte
und sah, dass so viele Menschen zu ihm kamen,
fragte er Philíppus: Wo sollen wir Brot kaufen,
damit diese Leute zu essen haben?
Das sagte er aber nur, um ihn auf die Probe zu stellen;
denn er selbst wusste, was er tun wollte.
Philíppus antwortete ihm:
Brot für zweihundert Denáre reicht nicht aus,
wenn jeder von ihnen
auch nur ein kleines Stück bekommen soll.
Einer seiner Jünger,
Andreas, der Bruder des Simon Petrus,
sagte zu ihm:
Hier ist ein kleiner Junge,
der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische;
doch was ist das für so viele?
Jesus sagte: Lasst die Leute sich setzen!
Es gab dort nämlich viel Gras.
Da setzten sie sich;
es waren etwa fünftausend Männer.
Dann nahm Jesus die Brote,
sprach das Dankgebet
und teilte an die Leute aus, so viel sie wollten;
ebenso machte er es mit den Fischen.
Als die Menge satt geworden war,
sagte er zu seinen Jüngern:
Sammelt die übrig gebliebenen Brocken,
damit nichts verdirbt!
Sie sammelten
und füllten zwölf Körbe mit den Brocken,
die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren.
Als die Menschen das Zeichen sahen, das er getan hatte,
sagten sie: Das ist wirklich der Prophet,
der in die Welt kommen soll.
Da erkannte Jesus,
dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen
und zum König zu machen.
Daher zog er sich wieder auf den Berg zurück,
er allein.
Evangelium unseres Herrn Jesus Christus
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Schreien will ich zu dir, Gott, mit verwundeter Seele,
doch meine Worte gefrieren mir auf der Zunge.
Es ist kalt in mir, wie gestorben sind alle Gefühle,
starr blicken meine Augen auf meine zerbrochene Welt.
Der Bach, den ich von Kind an liebte,
sein plätscherndes Rauschen war wie Musik,
zum todbringenden Ungeheuer wurde er,
seine gefräßigen Fluten verschlingen ohne Erbarmen.
Alles wurde mir genommen. Alles!
Weggespült das, was ich mein Leben nannte.
Mir blieb nur das Hemd nasskalt am Körper,
ohne Schuhe kauerte ich auf dem Dach.
Stundenlang schrie ich um Hilfe,
um mich herum die reißenden Wasser.
Wo warst du Gott, Ewiger,
hast du uns endgültig verlassen?
Mit tödlichem Tempo füllten schlammige Wasser die Häuser,
grausig ertranken Menschen in ihren eigenen Zimmern.
Ist dir das alles völlig egal, Unbegreiflicher?
Du bist doch allmächtig, ein Fingerschnippen hätte genügt.
Du machst es mir schwer,
das wirklich zu glauben.
Ich weiß, wir sind nicht schuldlos an manchem Elend,
zu leichtfertig missbrauchen wir unsere Freiheit.
Doch warum siehst du uns dann zu, fährst nicht dazwischen,
bewahrst uns nicht vor uns selbst.
Dein Schweigen quält meine Seele,
ich halte es fast nicht mehr aus.
Wie sich Schlamm und Schutt meterhoch türmen
in den zerstörten Straßen und Gassen
und deren Schönheit nicht mehr erkennen lässt,
so sehr vermisst meine Seele dein Licht.
So werfe ich meine Tränen in den Himmel,
meine Wut schleudere ich dir vor die Füße.
Hörst du mein Klagen, mein verzweifeltes Stammeln,
ist das auch ein Beten in deinen Augen?
Dann bin ich so fromm wie nie,
mein Herz quillt über von solchen Gebeten.
Doch lass mich nicht versinken in dunklen Gedanken,
erinnere mich an deine Nähe in früheren Zeiten.
Ich will dankbar sein für die Hilfe, die mir zuteil wird,
für die tröstende Schulter, an die ich mich anlehne.
Ich schaue auf und sehe helfende Hände,
die jetzt da sind, ohne Applaus, einfach so.
Die vielen, die jetzt kommen und bleiben,
die Schmerzen lindern, Wunden heilen,
die des Leibes und der Seele
mit langem Atem und sehr viel Geduld.
Auch wenn du mir rätselhaft bist, Gott,
noch unbegreiflicher jetzt, unendlich fern,
so will ich dennoch glauben an dich,
widerständig, trotzig, egal, was dagegenspricht.
Würdest du doch nur dein Schweigen beenden,
doch ich halte aus und halte dich aus, oh Gott.
Halte du mich aus!
Und halte mich, Ewiger! Halte mich!
Dieses Gebet, ich habe es etwas verkürzt, steht in dieser Woche auf der ersten Seite unserer Kirchenzeitung. Pfarrer Stephan Wahl, der aus dem betroffenen Landkreis Bad Neuenahr Ahrweiler stammt, hat es formuliert. Vor Gott, zu Gott gebrachtes Leid, zweifeln an Liebe angesichts der erlittenen Erfahrungen, wo Menschen alles verloren haben, nur die nackte Haut gerettet, im eigenen Zimmer ertrunken.
Sonntag für Sonntag darf ich Ihnen/Euch das Evangelium lesen, wie gerade eben auch. Das ist mir ein großes Glück! Heute: Was aus fünf Broten und zwei Fischen werden kann, die von einem Kind gebracht werden? Liebe ist das Brot, das sich vermehrt, wenn man es teilt, habe ich mal gehört. Und Liebe ist Überfluss von Leben und Freude, es bleiben zwölf Körbe übrig!
Doch was bleibt von solchen Erzählungen, wenn es eben auch ganz andere Erfahrungen gibt? Aber auch hinter den Erzählungen der Bibel stehen echte Erfahrungen von Menschen. Mal ist es kaum auszuhalten, auch nur der Gedanke an einen guten Gott, mal ist es beseligende Erfahrung. Gott sei unbegreiflich, heißt es. Sollte das dies bedeuten? Dass er unbegreiflich ist, so wird auch gesagt, bedeute, dass er Liebe ist. Geht das? Jedes Verharmlosen des grausamen Leids kann jedenfalls nicht Gott beschreiben, aber wie dann? Wenn es gut ist, an ihn zu glauben, dann muss das doch der Weg sein, selber liebend zu werden, mitfühlend mit anderen, ohne zu werten, und nicht etwas zu erklären, was sowieso nicht stimmt. Jedes Erklären oder sogar Verteidigen Gottes auf Kosten der Leidenden kann nicht sein. Leiden zu verharmlosen schafft nur noch tieferes Leid. Das geht nicht! Und schon gar nicht im Namen Gottes!
Was ist Lebensglück? Es könnte sein, dass diejenigen, die in den vergangenen Tagen so viel verloren haben, einen Teil davon erfahren, wenn sie nun so intensiv Hilfe bekommen von Menschen, die sie vielleicht gar nicht kennen. Welchen Weg hat Gott nach den Erfahrungen und Einsichten der Menschen der Bibel gewählt? Es ist von Beginn an kein gerader, perfekter oder heiler Weg. Sozusagen von Abraham an ist es ein Weg im auf und ab, zwischen Schuld und Gnade, von Leid und wunderbarem Glück. Schon in der dritten Generation wird das Erbe erschlichen, von Jakob gegenüber seinem Bruder Esau. Dann verkaufen die zwölf Söhne dieses Jakobs aus Neid den einen Bruder, dieser Bruder wird später in Ägypten ihr Retter. Sie dürfen in Ägypten bleiben, welch ein Glück. Aber mit der Zeit werden sie dort zu Sklaven. Gott rettet sie durch Mose aus der Hand ihrer übermächtigen Sklaventreiber, doch welch ein auf und ab auf dem Weg durch die Wüste vierzig Jahre lang. Aber auf dem ganzen Weg erweist sich, was schon zuvor als der Name Gottes erklang am brennenden Dornbusch: Er, Gott ist da, ist bei ihnen! Das ist der Gehalt seines Namens, aber so geschrieben, dass man es nicht aussprechen kann. Und so geht es immer weiter, auf und ab, und Gott ist da: Ich bin der Ich bin da! Selbst der große König David begeht eine schwere Sünde, die nicht verschwiegen wird, auch im Stammbaum Jesu des Matthäusevangeliums wird sie nicht übergangen. In diesem Stammbaum wird es in Kurzform zusammengefasst: Gott bahnt sich einen Weg zu uns. Nicht von außen, sondern von innen. Bis dahin, dass er Teil von uns wird. Er wird ein Mensch wie wir. Er taucht ein in das auf und ab, heilt, segnet, vergibt Schuld, zeigt in einem menschlichen Leben, wer und wie Gott für und zu uns ist. Und er stirbt mit der Frage: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Er teilt bis zum Letzten alles, bis zu dem Ort, der am weitesten weg ist von Gott in der menschlichen Skala: Warum? Und trägt doch das Vertrauen durch: Mein Gott, mein Gott! Ja, das kriegt man nicht zusammen, es ist unbegreiflich. Ich möchte es einfach stehenlassen, die Botschaft einer so unbegreiflichen Liebe bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz erzählt mir, dass alles schon geteilt ist, ich darf es wissen und erfahren und bezeugen! Und mitfühlen und helfen und mittragen und -aushalten, mitschweigen, wo es nichts zu sagen gibt. Mittendrin wird das Brot geteilt und die Menschen werden satt an dieser Liebe, denn das Teilen bis zum Letzten hat kein Ende, sondern wird unter uns zum Überfluss.
Am Freitag habe ich mich mit einem Pilgerfreund unterhalten. Er hat einen sehr fordernden Beruf. Um dafür einen Ausgleich zu finden, dass er menschlich nicht daran zerbricht, hat er begonnen zu pilgern. Bei uns in der Pilgergruppe hat er zum ersten Mal einen katholischen Gottesdienst mitgefeiert. Als sein Vater im Sterben lag, so erzählte er mir, wollte er dem Vater irgendwie Mut machen: Das wird schon alles gut werden für Dich da oben!, sagte er zu dem Vater. Aber ich hab doch nie an den da oben geglaubt, antwortete der Vater. Das ist nicht so wichtig, meinte mein Freund, Gott glaubt an Dich!