Predigt zum 17.01.2021
von unserem Pfarrer Vornewald
Heute/gestern [am 16.01.21] war die Wahl des CDU-Parteivorsitzenden. Ich habe mir die Reden der drei Kandidaten angehört. Es war spannend und so etwas wie ein Zeitzeugnis. Im Evangelium bin ich drauf gestoßen, dass es darin auch eine Bewerbungsrede gab. Der Täufer Johannes erklärt sich aber nicht lange, er sagt nur einen Satz: „Seht das Lamm Gottes!“ Ein großer Unterschied besteht darin, dass er nicht für sich selber wirbt, sondern für einen anderen. Ohne einen der CDU Kandidaten zu diskreditieren, ich finde das bemerkenswert. Er wirbt für einen anderen und dann heißt es, dass die Beiden, die bei ihm sind und es gehört haben, Jesus folgten. Es steht noch nichtmals da, dass sie ihn zurücklassen. Das wird erzählt, als wäre es das normalste der Welt. Wenn man nun fragt, warum diejenigen, die bei ihm stehen, dann muss man wissen, dass die Bewerbungsrede des Johannes schon vorher passiert ist. Beide hatten sie wohl verinnerlicht. Er muss nur noch einmal das Stichwort geben, mit dem er begonnen hatte, da wissen die Beiden Bescheid. Er begann mit denselben Worten: „Seht das Lamm Gottes!“. Und da hatte er noch etwas hinzugefügt: „… das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ Und dann ging es weiter: „Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.“ Und dann erzählt er, was er bei der Taufe Jesu erlebt hat: “Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber der, der mich gesandt hat, mit Wasser getauft hat, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes!“
Also wussten die Beiden, was sie zu tun hatten. Der letzte Satz des Johannes ist nichts weniger als die Zusammenfassung der ganzen Weihnachtsbotschaft: Er ist der Sohn Gottes! Die Konsequenz wird uns von den Beiden vor Augen geführt: Sie folgen Jesus. Bei den Bewerbungsreden der CDU-Vorsitzkandidaten ging es viel um Zukunft und Aufbruch. Hier geschieht ein Aufbruch, es wird eine Welle losgetreten, es ist der Anfang von etwas ganz Großem. Eine grundlegende Strategie wird schon deutlich: Es wird auf Menschen gebaut, der Simon bekommt es sogar in seinen neuen Namen hinein: Du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels – Petrus. Die Erzählung endet eigentlich damit, dass angekündigt wird, dass es um eine großartige Zukunft geht, dass noch viel größeres zu sehen sein wird: „Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel auf- und niedersteigen über dem Menschensohn.“ Logisch, dass die Beiden da dabei sein wollen. Sie lassen Johannes zurück. Und es ist groß: Johannes bleibt allein zurück und hat genau so sein Ziel erreicht. An anderer Stelle wird er zitiert: „Ich muss abnehmen, er muss wachsen!“ Das ist ein Maß, das gesetzt ist: Worum geht es mir? Bei allem berechtigten Ehrgeiz und aller wahrhaftigen Selbstliebe. Aber dem Johannes geht es nicht darum, etwas moralisches herauszustellen, er möchte weitergeben, was er gesehen hat. Es ist deshalb so selbstverständlich, weil der Grund für seine Haltung so groß ist: Jesus der Christus. „Ich bin nicht wert, ihm die Schnürsenkel auf zu machen!“
Und, haben die beiden sog. ersten Jünger gut gewählt? Die ersten Momente ihrer Begegnung sind unglaublich: Jesus wendet sich um, also sich ihnen zu. Und seine erste Frage ist ganz schlicht: Was sucht Ihr? Kann man das anders verstehen als, dass es ihm wirklich um die Beiden geht. Die Antwort zeigt, dass sie sich verstanden fühlen: „Rabbi, wo wohnst du?“ Jesus signalisiert und lebt Offenheit: „Kommt und seht!“ Er lässt sie bei sich zu, sie dürfen in seine Wohnung und in sein Herz einkehren. Nebenbei bemerkt: alle Gastfreundschaft hat hier ihre Quelle! Und sie dürfen nicht nur einkehren, sei dürfen bleiben. „Bleiben“ ist das meistgebrauchte Verb im Johannesevangelium, hat mal jemand herausgefunden. Wer in mir bleibt und ich in ihm … in seiner Liebe bleibt …
Und danach? Jesus hatte sie gefragt: Was sucht ihr? In dem, was sie von der Begegnung berichten, steht das Wort „gefunden“. Als Andreas seinen Bruder Simon trifft, sagt er ganz schlicht: „Wir haben den Messias gefunden!“ Und Andreas findet in dieselbe Haltung wie sein Lehrer Johannes: Es heißt: „Er führte ihn zu Jesus!“ und es geschieht mit dem Simon dasselbe wie mit ihm: Er findet, er wird gebraucht, sein Leben erfährt einen neuen Horizont.
So einfach ist Kirche. Schon das Wort sagt es offensichtlich: Es kommt vom griechischen „Kyriake“, was sich von dem Wort „Kyrios“ ableitet. Das älteste Glaubensbekenntnis der Christen ist: „Kyrios Jesous!“. Wir übersetzen Kyrios mit „Herr“, weshalb das auch oft Gebetsanrede ist. Aber Kyrios meint mehr als „Herr“, es bedeutet genau das, was wir heute im Evangelium entdecken: Die Jünger haben auf ihrer Suche gefunden, so sehr, dass sie sich überlassen können, dass sie freiwillig folgen, ohne jeden Zwang, ohne Angst, sondern in einem tiefen Wissen: Hier kannst du vertrauen, hier geht es wirklich um mich, um uns! Und dies so, dass sie nicht ihre Freiheit lassen, sondern sie leben, ja sogar finden: Denn ihr Finden ist Geliebtwerden und Befähigung zur Liebe. Sie werden nicht angeklagt und ausgebremst oder dressiert, sondern es wird ihnen vergeben und sie werden befähigt, ein neues Verhältnis zu ihren Mitmenschen und zu ihrer Mitwelt zu finden: Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, so hat es begonnen und das wird an ihnen wirklich. Wenn es eine Anklage gibt, dann ist es eine Selbstanklage, weil Jesus sie heilsam spiegelt. Diese Anklage ist das Beste, was uns passieren, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu finden, zur Selbstfindung.
Ein Blick ist noch wichtig, der Blick auf den Anfang. Da gebraucht der Täufer Johannes einen Vergleich. Es ist so etwas wie das Wappentier Jesu, wenn er sagt: „Seht das Lamm Gottes!“ Damit wird natürlich zunächst die große Geschichte des Volkes Israel aufgerufen. Die wird hier weitergeschrieben, ja sie erfüllt sich. Das Lamm, das sie in der Nacht des Aufbruchs aus der Sklaverei geschlachtet haben, wird aufgerufen. Nicht mehr Sklaven der Sünde, nicht mehr dem Bösen ausgeliefert; sondern es ergeht eine große Einladung zu einem freien Leben. Sie folgten Jesus. Aber mit dem Lamm ist noch mehr zu hören: Sanftmut, Ohnmacht, Kleinsein, schwach, das alles sind die Attribute eines Lammes, und doch trägt es den Sieg davon. „Wir haben mit allem gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten“, sagte der Stasimajor nach dem 9. Oktober in Leipzig.“
Jedesmal, wenn wir Eucharistie feiern, erklingen an ganz zentraler Stelle die Worte des Johannes: Seht das Lamm Gottes, da die Sünden der Welt hinwegnimmt! Bloß, wählen wir Jesus?