Predigt zum 15.11.2020
von unserem Pfarrer Vornewald
Es war einige Jahre nach dem Studium, als wir uns wiedertrafen. Wir hatten Freundschaft geschlossen während dieser Zeit, danach hatten sich unsere Wege getrennt in andere Richtungen. Einige waren Priester geworden, andere hatten sich für einen anderen Weg entschieden. Nun sahen wir uns wieder. Mir ist aus der Begegnung ein Satz haften geblieben. Im Gespräch sagte einer: Ja, was machen wir aus unserem Leben? Damals war ich 30. Die Frage ist mir geblieben und suchte immer wieder Antworten, mit 40, mit 50 und inzwischen mit 61. Was machen wir aus unserem Leben? Die Frage ist auch immer das Austarieren von dem, was ich ändern kann und dem, was ich nicht ändern kann und die Weisheit, beides voneinander zu unterscheiden. Wobei die Einsicht in das, was ich ändern kann und das, was ich nicht ändern kann, mit dem Älterwerden etwas verschiebt. Ich habe den Eindruck, dass ich, als ich jünger war, mehr meinte, Dinge verändern zu können und mit den Jahren zu der Einsicht komme, dass viele Dinge nicht wirklich zu ändern sind. Aber Vorsicht: Der alte Dekan sagte zu dem jungen Pfarrer: Sie werden auch noch ihre Erfahrungen machen! Der antwortete, ohne nachzudenken: Seine Erfahrungen machen, das ist schrecklich. Also gehört zur eigenen Unterscheidung auch die Frage, wie ich mit den eigenen Erfahrungen umgehe, welche Deutung und welches Gewicht gebe ich dieser oder jener Erfahrung? Lass ich mich von ihnen lähmen? Was lerne ich aus ihnen? Ich kann realistischer werden, kann meine Kräfte effektiver einbringen, es wird einem manches abgeschliffen, ja, das ist gut, aber darf ich mir eigenen Ideale, darf ich mir Hoffnung nehmen lassen? Bei aller Einsicht in die eigene Ohnmacht: es bleibt die Frage bestehen: Was mache ich aus meinem Leben?
Das hat auch mit dem Wissen um eigene Stärken und Schwächen zu tun. Ich bin sehr dankbar, dass ich lernen durfte, von den eigenen Stärken her zu leben und auch Menschen kennengelernt habe, die das konsequent tun. Mit den Worten des Evangeliums kann man die Frage noch anders stellen: Was ist mir anvertraut worden? Welche Talente habe ich bekommen? Damit ist im Text natürlich zunächst mal eine Geldwährung gemeint, aber mit Talenten verbinden wir ja noch etwas anderes. Ich mag diese Doppeldeutigkeit. Und es ist ja auch richtig so. Meine Fähigkeiten sind mein Reichtum, das, was mir anvertraut wurde. Daraus kann etwas werden, aus meinen Schwächen eher nicht. An anderer Stelle heißt es bei Paulus: Keinem gab er alles, jedem gab er etwas. Mir hat er auch etwas gegeben. Was mache ich daraus?
Dass es mir anvertraut wurde, legt noch eine weitere Frage offen. Es gibt jemand, der es mir übertragen hat. Wer ist das, der mir vertraut? Vielleicht ist das die entscheidende Frage! Wie geht es mir damit, dass dieser jemand etwas von mir erwartet? Macht es mich froh, irgendwie stolz und glücklich, oder lähmt es mich, ist es mir unwohl dabei, macht es mir Druck. Eigentlich müsste man gleich weiter formulieren: Druck … und Angst? Und es fällt auf, dass derjenige, der im Evangelium sein eigenes Talent vergraben hat, davon redet, dass er Angst hatte. Angst ist wichtig, denn sie will uns vor Gefahren schützen, aber wenn ich Angst da habe, wo ich sie gar nicht brauche, dann zerstört sie. Jedenfalls ist Angst gegenüber demjenigen, der uns etwas anvertraut, keine guter Berater. Denn wenn er anvertraut, dann hat er Vertrauen! Und gibt mir damit die Zusage, dass das, was er mir anvertraut, bei mir gut aufgehoben ist. Angst führt zur Lähmung, Vertrauen öffnet zur Entfaltung. Meine Talente sind mir anvertraut, damit ich sie und damit mich entfalte.
Was machen wir aus unserem Leben? Das Leben ist uns geschenkt. Ja, das allererste Geschenk an mich bin ich. Wenn man es andersherum sieht, dann wird etwas klar: Wenn ich etwas schenke, nehmen wir an mit Herzblut, dann freue ich mich, wenn derjenige, den ich beschenke, es auspackt und sich dran freut und mit dem Geschenk etwas macht, z.B. ein Junge die neue Lokomotive gleich auf die Schienen stellt und ausprobiert. Bei Kindern ist jedes Spiel auch eine Lernübung. Mit Freude geht das ganz von allein.
So sind wir eingeladen, uns selber im Vertrauen anzunehmen und zu entfalten, mit den Talenten, die wir haben, zu wirtschaften. Bitte nicht etwas versuchen, was ich nicht kann, weil es ja mehr Opfer und darum verdienstvoller ist. Es geht nicht um Verdienste. Es geht nur um Dankbarkeit gegenüber dem, der mir meine Talente anvertraut hat. Wer das versucht, der kann auch die Talente anderer dankbar annehmen. Und sich helfen und ergänzen lassen. Und es braucht diese gegenseitige Sicht, dass wir uns helfen, dass wir uns entfalten, jede und jeder mit den je eigenen Talenten, die eine so und der andere so, der eine 5 Talente, der andere 2. Jedes Vergleichen irgendeiner Wertigkeit geht am Thema vorbei. Es gibt kein mehr oder weniger, sondern nur Dich und mich. Und wenn Entfaltung lieben bedeutet, dann entzieht uns das den rechnenden Blick, denn lieben tut jede und jeder von uns ganz! Das aber ist ein Anspruch aus dem Zuspruch Gottes, der uns voreinander ehrfürchtig und demütig macht. Ich habe immer wieder Erfahrungen machen dürfen, wo wir miteinander aus einer solchen Haltung wachsen konnten, ja über uns hinaus gewachsen sind. Dabei wird das Beste gefordert und gefördert. Anvertrautes braucht Sorgfalt. Das können vielleicht am ehesten Eltern wahrnehmen, denen Kinder anvertraut sind!
Es gibt in der Erzählung noch eine Steigerung: Dies ist erst der Anfang: Als die Diener ihre Rechnung aufmachten, dass sie aus fünf zehn und aus zwei vier gemacht haben, da sagt der Mann: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu. Über vieles werde ich Dich setzen. In der alten Übersetzung ist zwar nicht so wörtlich, aber flüssiger und sprachlich besser übertragen: Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übergeben.
Vor meinem ersten Pfarrer hatte ich eine große Achtung. Als ich in der Gemeinde verabschiedet wurde, hat er gesagt, ich sei ihm ein fleißiger und treuer Mitarbeiter gewesen. Ich wusste zwar, dass das nicht ganz stimmte, aber es hat mich sehr glücklich gemacht. Dass er, vermutlich unbewusst, diesen Text zitiert hat, ist mir erst jetzt aufgefallen. Was wir jetzt versuchen, ist erst der Anfang zu etwas viel Größerem. Uns soll anvertraut werden, in der Herrlichkeit Gott zu sein. Wieviel Liebe und Sorgfalt und Einsatz das wohl bedeutet?! Ich versuche das so zu verstehen, dass es mich schon jetzt dahin führt, mich nach der Decke zu strecken. Vielleicht ist es ein bisschen so wie bei Kindern, die etwas schönes geschenkt bekommen haben und nun voller Liebe und Hingabe damit spielen. Und mitten darin das Leben lernen. Auf dass einmal der große Richter, der uns nach unserem Leben und unserer Liebe fragen wird, sagen kann: Komm, nimm teil am Freudenmahl deines Herrn!