Predigt zum 06.09.20200
von unserem Pfarrer Vornewald
Vorgestern habe ich die heiligen Öle aus den Kännchen ausgegossen in eine Schale, denn am Samstag wurde in Magdeburg die sogenannte Ölmesse nachgeholt, weil es ja in der Karwoche nicht möglich war. In diesem festlichen Gottesdienst weiht der Bischof alljährlich die heiligen Öle für alle Pfarreien des Bistums, die bei der Taufe, Firmung und Krankensalbung benutzt werden. Zunächst war das Kännchen mit dem Krankenöl dran, das für die Krankensalbung genutzt wird, dann das Katechumenenöl, das bei der Taufvorbereitung seinen Platz. Als ich dann aus dem dritten Kännchen den Geruch des heiligen Chrisams wahrgenommen habe und es ausgegossen habe, wurde ich sehr nachdenklich und ein bisschen traurig. Das ganze Öl, wie wir es vor eineinhalb Jahren in der Karwoche 2019 empfangen haben, wurde nun weggeschüttet. Ich fragte mich: Haben wir das heilige Chrisam überhaupt irgendwann gebraucht? Bei der Firmung im letzten Jahr, aber da hatte der Bischof ein eigenes Gefäß dabei. Aber sonst? Ich konnte mich an eine Taufe, aber keine Firmung erinnern während der Zeit. D.h. für die Taufe eines kleinen Mädchens bei einer Hochzeit von Freunden außerhalb hatte ich etwas mitgenommen. Der Bischof hatte es irgendwie vergeblich für uns konsekriert. Soviel brauchen wir nicht, lieber Bischof. Natürlich, diejenigen, die unter uns aufgewachsen sind, sind zum großen Teil von Blankenburg weggezogen oder haben trotz aller katechetischen Mühe den Bezug zur Kirche verloren. Deshalb haben wir ja auch kaum noch Kinder. Bei der Hochzeit, wo ich das Kind der Brautleute taufen durfte, war es so, dass ich als junger Vikar die Braut und den Bräutigam getauft hatte. Ich habe mich an die Zeit und die Gegebenheiten im katholischen Westfalen zurück erinnert. Damals hatte ich viele Taufen, manchmal in einem Monat über fünf. Aber wenn ich mich zurückversetze, dann frage ich mich, was das war damals: Hätten es sich die Leute überhaupt erlauben können, ihr Neugeborenes nicht zu taufen. Das gehörte einfach dazu. Und wenn man dann in der Kirche war, dann gehörte es auch dazu, dass man auf die entsprechenden Fragen richtig antwortete, so wie es erwartet wurde: Ich glaube! Es lag wie Mehltau viel Konvention darüber, was sollen denn die Leute denken.
Ich vermute, dass im Frömmigkeitsbewusstsein der meisten das heilige Chrisam auch keine besondere Rolle spielt. Da war in viel früheren Zeiten anders: Mit diesem kostbaren Öl, einer Mischung aus Balsam und Salböl, wurden Könige, Priester und Propheten gesalbt. Das Öl war das entscheidende Zeichen, mit dem sie ihre Autorität, Würde und Beauftragung empfingen. Und es muss daran erinnert werden, dass Christus kein Name ist, sondern eine Aussage über das, wer Jesus von Nazareth ist: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Es ist bezeichnend, dass in der erneuerten Einheitsübersetzuung an den Stellen, wo früher „der Messias“ übersetzt wurde, es nun heißt „der Christus“. Es wird benutzt bei der Spendung der Sakramente, die eine einmalige Zusage und Sendung schenken: Bei der Priesterweihe, bei der Firmung und davon abgeleitet, auch bei der Taufe. Als die erste Christengeneration in der Verfolgung aus Jerusalem vertrieben wurde, kamen sie bis nach Antiochien (ca. 800 km nördlich). Dort endstand die erste Zentrale der Anhänger des neuen Wegs, wie sie sich nannten und Petrus war dort der erste Bischof, ehe er weiterzog nach Rom. Dort in Antiochien, so berichtet die Apostelgeschichte, nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen. Und das hatte große Bedeutung: Denn als seine Jünger hatten sie das Bewusstsein, Anteil an seiner Sendung zu empfangen, daran, dass er der Messias ist, sie durften und sollten sein Werk weiterführen. Im vierten Hochgebet heißt es: Damit wir nicht mehr uns selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat er von dir, Vater, als erste Gabe für alle, die glauben, den Heiligen Geist gesandt, der das Werk Deines Sohnes weiterführt und alle Heiligung vollendet.
Lieber Bischof, mach Dir nicht so eine Arbeit, davon brauchen wir nicht viel? Wir sind nur wenige und sind auch schon älter … Ob wir soviel Öl brauchen für viele Firmungen, das mag dahin gestellt sein. Aber das Bewusstsein, dass wir Christen sind, also mit Chrisam gesalbt wurden, berufen und von Gott gesandt sind, das ist ganz wichtig. Dazu gibt das heutige Evangelium einen ganz wichtigen Impuls: Es hat auch etwas übersehenes, vergessenes: Dass dem Petrus die Schlüssel des Himmelreichs übergeben wurden, er die Binde- und Lösegewalt erhalten und sich dies überträgt an seine Nachfolger, das haben wir abgespeichert. Und an die Bischöfe, die wiederum es an die Priester übertragen, das haben wir auch in Fleisch und Blut. Und bei solchen starken Worten wird man wohl auch gehorchen. Das ist ja auch gut so, da weiß man, was man zu tun und zu lassen hat. Aber merkwürdig: Im heutigen Evangelium steht dasselbe noch einmal: Alles, was Ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was Ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmmel gelöst sein. Und aus dem Zusammenhang wird klar: Es sind nicht nur die Apostel gemeint oder irgendwelche Besonderen, sondern alle Jünger, alle, die wir Christen nennen, die gesalbt, gesandt sind. Alle sind auserwählt, sind besonders, denn das Besondere ist die Salbung! Natürlich haben der Petrus und die Bischöfe eine besondere Autorität. Aber darüber darf nicht vergessen werden, dass geistliche Vollmacht auch allen anderen übertragen wurde. Und es darf nicht nur nicht vergessen werden, es muss neu entdeckt und gelebt werden. Und diejenigen, die eine besondere Autorität übertragen bekommen haben, sie sollen nach den Worten des Konzils dem, was alle in der heiligen Salbung empfangen haben, dienen. Und nicht herrschen. Vielleicht sollen wir da neu hineingeführt werden, wenn Gott uns nur wenige Priesterberufungen schenkt. Wir sind alle als mit Chrisam gesalbte, als seine Priester gesendet!
Das alles ist voran zu stellen, wenn bald ein neuer Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand gewählt werden soll. Und der letzte Satz unseres Evangeliums macht deutlich: Keine kleine Zahl ist dafür eine Grenze. Wo auch nur zwei oder drei … Ich füge hinzu: auch kein Alter. Wenn die Zusage die ist, dass er mitten unter uns ist, dann ist dies im Vollsinn Kirche. Und das gilt für alle! Wenn heute zwei Kinder unter uns sind, die in der letzten Woche in die Schule gekommen sind, dann dürfen die sich sagen: Ich bin bei meiner Taufe mit kostbarem Öl gesalbt worden wie Jesus, denn Gott hat mich lieb. Und er hat großes mit mir vor, deshalb möchte ich viel lernen und viele Dinge können, damit ich viel gutes tun und große Freude bringen kann. Kirche lebt nicht mehr wie früher vom Amt her, sie lebt viel mehr von der Salbung: Alle haben die gleiche Würde, das Evangelium mahnt flache Hierarchien an: Ihr alle seid Schwestern und Brüder! Und keiner kann alles, sondern jeder etwas. Darin steckt auch der Weg dahin, dass wir uns nicht überfordern, sondern jede und jeder sich nach dem eigenen Maß und Möglichkeiten einbringt. Ein Wort ist hierbei für mich ganz wichtig: Wenn zwei „einmütig“ bitten … Es ist ein Teil unseres Bewusstseins, dass sich das, was wir glauben, durch unsere Haltung aneinander vermittelt. So können wir miteinander lernen, was es heißt, dass er mitten unter uns ist!