Predigt zum 06.01.2021
von unserem Pfarrer Vornewald
(06.01.2021 Erscheinung des Herrn)
Die Kathedrale der Diözese Magdeburg ist nicht mit vielen großartigen Kunstwerken und Kostbarkeiten gefüllt. Aber seit einigen Jahren gibt es dort ein Kunstwerk, das auf eigene Weise einzigartig ist. Ich empfehle sehr einen Besuch. Die Künstlerin Magdalena Sorger hatte den Auftrag, einen Ort zu schaffen, wo an die lange Geschichte der Erzdiözese und später Diözese Magdeburg erinnert wird. Sie hat sich für ein Fenster entschieden, dass am langen Gang neben dem Kirchenraum entlangführt. Hinter dem Fenster ist ein kleiner Friedhof entstanden. Es ist vermutlich über zehn Meter lang. Man erkannt eine gotische Fensterform. Nomalerweise ragt der obere spitze Bogen eines gotischen Fensters in den Himmel, um Blicke und Herzen zu erheben. Hier ist es so, als würde das Fenster liegen und die Spitze ragt nach vorne, ganz in Richtung der Kirche, also nach Osten, dem aufgehenden Licht entgegen. In einer schmalen unteren Leiste, die kaum auffällt, sind die Namen der Bischöfe vom Anfang bis heute aufgeführt. Aber diese Liste macht nicht den Weg der Kirche aus. Im großen Raum des Fensters sind in goldenen Wellenbewegungen, Gold ist die Farbe des geistvollen Lebensraums Gottes, Zitate von Menschen, die von ihrer Sehnsucht, von ihrer Glaubenseinsicht, vom Geheimnis des liebenden, wunderbaren Gottes erzählen. Das sind die, die Weg des Glaubens gewandert und nun bewandert sind im Geheimnis der Kirche, und wären sie mit einem Fahrrad unterwegs gewesen, dann würde man sagen, sie haben den Weg er-fahren. Da das Fenster an einem langen Gang entlangführt, kann man nie das ganze Fenster erfassen, sondern immer nur den Teil an dem man steht. Wenn man bis nach ganz vorne läuft, also schon an der Spitze, kann man einen Stern sehen, der sich blutrot absetzt vom goldenen Himmel und als letztes der Glaubenszeugnisse ist ein Satz von Karl Rahner zu lesen:
„Es leuchtet der Stern!
Viel kannst du nicht mitnehmen auf den Weg
und vieles wird dir unterwegs verloren gehen.
Lass es fahren.
Gold der Liebe,
Weihrauch der Sehnsucht
und Myrrhe der Schmerzen hast du ja dabei!
Er wird sie annehmen.
Damit hat Magdalena Sorger etwas ganz wunderbares geschaffen. Denn sie macht uns klar, die den Weg der Kirche gehen, das sind die, die sagen: Wir haben seinen Stern aufgehen sehen! Und die dem Schwung ihres Herzens gefolgt sind, ihrer Sehnsucht Raum geben und aus ihren Wunden herauslaufen zu dem, den sie den Heiland nennen! Die aufgebrochen sind, die sich haben rufen lassen zum Licht, zur Wahrheit, zum Leben! Wer nie aufgebrochen ist, sondern nur getan hat, was man von ihm erwartete, der gehört eigentlich nicht dazu. Was sollte er auch beitragen in den goldenen Wellen durch die Zeiten, wo das Geheimnis Gottes durchscheint? Sein Name ist Immanuel „Gott mit uns“!
Das heißt aber nicht, dass jemand ausgeschlossen wäre. „Denn er ist zur Welt gekommen für die Sünder und die Frommen!“, heißt es in einem Lied zu dem großen heutigen Fest. Wer sind die Frommen? Wer sind die Sünder? In der jüngsten Geschichte hat sich gezeigt, dass manche von den ganz Frommen besonders schlimme Sünder sind, so schlimm, dass man eigentlich gar nicht mehr mitlaufen will. Und manche, die für Sünder gehalten wurden oder werden, die laufen mit Freude mit: „Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr!“, sagte Jesus zu den Frommen seiner Tage. Vielleicht ist ein lebendiges Bewusstsein der eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten sogar der beste Motor, wirklich Schritte zu tun, denn wenn einer Gott gar nicht braucht und sich erleuchtet wähnt, warum sollte der sich auf den Weg machen? Der andere erfährt Güte und Barmherzigkeit, tiefer geliebt, als er sich selber mögen kann.
Aber aufbrechen, das ist schwierig. Da kommen Ängste hoch! Fridolin Stier hat eine großartige Übersetzung des Alten Testaments geleistet, darin übersetzt er Dämonen mit „Abergeister“. Unter dem Gewand, gute Berater zu sein, sprechen sie ein „Aber“ nach dem anderen, streuen Bedenken in die Seele. Und darin sind noch besser als die Stasi: Sie kennen unsere Schwachstellen ganz genau. Es ist zu gefährlich. Überleg mal, was da alles passieren könnte. Es ist zu anstrengend, das schaffst du nie. Und die Menschen sind böse (ach, wenn du wüsstest, dass du dich nur selber spiegelst bei so einer Vorstellung). Und dann bleibt Gott draußen vor. Einer Freundin ist es anders ergangen. Es ging ihr oft seelisch schlecht. Und dann wollte sie wissen, ob sie Gott vertrauen kann, und ist alleine losgezogen nach Santiago de Compostela, 1600 km zu Fuß, ohne Geld. 1997 war das, als es noch keine ausgebaute Logistik gab. 93 Tage ist sie unterwegs gewesen, jede Nacht hatte sie ein Dach über dem Kopf. Überlege Dir für Deinen Glauben: Soviel Sicherheit, wie für Dich nötig, so viel Vertrauen, wie für Dich möglich.
„Für die Sünder und die Frommen“, diejenigen, die über die Jahrhunderte diese wunderbare Geschichte in Bildern nacherzählt haben, haben gewusst, dass es keinen Menschen gibt, der nicht eingeladen ist. Sie haben die drei (wohl wegen der drei Gaben) in den drei Generationen gemalt oder gestaltet, also ein alter, ein mittelalter und ein junger, oder in den Hautfarben der drei Kontinente, die man kannte. Unbedingt muss einer der Drei an der Krippe ein Schwarzer sein. Die Drei sind auf Augenhöhe unterwegs, jeder mit seiner Geschichte und mit seinen Traditionen. Jeder bringt sich mit, seine Liebe, seine Sehnsucht und seine Schmerzen. Wenn keiner von ihnen schwarze Hautfarbe hat, dann fällt mal wieder der afrikanische Kontinent unter den Tisch, dann ist das viel eher Rassismus. Das Nicknegerlein, das sich verbeugt, wenn man es mit Geld füttert, das ist Gott sei Dank verschwunden. In diesem Bild ist aber die ganze Menschheit vereint. Ich habe etwas davon er-fahren auf dem letzten Wegstück vor Santiago. Ein riesiger Strom von Menschen, aus allen Nationen, Schichten, Herkünften laufen zusammen dem Himmel entgegen. Ich erinnere mich an einen alten Mann aus Polen, der tagelang zusammen mit einem jungen Pärchen aus Australien gelaufen ist, sie mussten sich immer anstrengen, wenn sie kommunizierten.
Unterwegs können wir die Erfahrung machen, dass wir uns gegenseitig brauchen. Nicht nur praktisch, sondern vor allem, dass einer den anderen anstachelt mit dem je eigenen Vertrauen und Begeisterung. Denn leicht ist es nicht: Morgens nicht zu wissen, wo man abends sein Haupt hinlegt, durch fremde Länder und Regionen durch Gegenden und Wetter. Auf dem Weg nach Jerusalem kam ich irgendwann nach Syrien. Ich hatte Angst. Schließlich hatten mich Freunde auch eindringlich gewarnt, das sei gefährlich, ja verantwortungslos. Dann bin an einen Stand am Straßenrand gegangen, um mir etwas zu essen und zu trinken zu kaufen. Es wurde kein Geld von mir angenommen, ich habe als Fremder alles geschenkt bekommen. Tagelang ging das so. Einmal hat bei mir ein Pilger aus Polen übernachtet. Er war schon auf dem Rückweg von Santiago. Zunächst hatte mich an ihm gestört, dass er keine Schneidezähne hatte. Er hat mir dann berichtet, als er von Polen nach Deutschland kam, hatten in der Nähe von Bautzen ein paar Glatzen ihm gezeigt, wie wir Deutschen Fremde begrüßen. Trotz gebrochenem Kiefer ist er Gott sei Dank weitergelaufen. Weiß ich, wo ich sicher bin, wo ist es unmenschlich, gefährlich? Peregrinus, das lateinische Wort für Pilger, hat genauso die Bedeutung „Fremder“. Komm, sagt Jesus zu Petrus, Hab Vertrauen!
Es leuchtet der Stern. Es ist Licht, dass uns führt! Etwas einzigartiges im Finsteren unseres Lebens. Es ist Licht eines großen Königs. Wenn wir ihn kennenlernen wollen, dass müssen wir uns seine Regierungserklärung anschauen, ich meine die Bergpredigt. „Wer mir folgt“, so sagt er im Johannesevangelium, „der hat das Licht des Lebens!“ Aber so, wie es in den Psalmen heißt: „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade.“ So, wie jemand sich im Licht eines Sterns in der Nacht seinen Weg bahnt. Immer nur so viel Licht, wie für den nächsten Schritt nötig ist. Alles andere zeigt sich dann beim nächsten Schritt und dann wieder beim nächsten … Und wenn der Stern ausWorten besteht, dann bedeutet das immer wieder aufbrechen. Man gewöhnt sich nie so ganz daran, wie sollte man auch, denn Gott ist ja immer auch der ganz Andere.
Früher hat mich immer gestört, dass die Sterndeuter aus dem Morgenland als Könige an der Krippe auftreten. Bis ich mal in einer Geschichte gelesen habe, dass sie im Licht dieses Königs zu Königen wurden. Ja, unterwegs bekommt das Leben eine ganz eigene Größe. Alles bekommt einen Charakter von Wunder, jeder Tag macht Dich reich, obwohl Du nicht ohne Entbehrungen lebst. Und dann das Glück, auf dem Weg zu sein. Alles hängt immer an so vielen seidenen Fäden, aber der Weg trägt. Du hörst auf, dich mit anderen zu vergleichen. Das brauchst Du nicht mehr. Du wirst frei. Zu den Entbehrungen gehören auch Schmerzen. Auf dem Weg nach Jerusalem hatte ich eine Achillessehnenreizung. Irgendwo hatte ich eine elastische Binde bekommen, da ging es. Aber jedesmal, wenn ich wieder losfuhr auf dem Fahrrad, tat es wieder weh. Ich habe es so genommen, es ging mir ja gut genug. Und es war um so mehr eine Freude, auf dem Weg zu sein.
Natürlich gibt es auch Gefahren. Auf einem uralten Taufstein auf der Insel Gotland ist das heutige Evangelium in Stein gehauen. Da sind zwei Throne zu sehen. Auf einem sitzt Herodes mit erhobenem Schwert, auf dem anderen Maria mit ihrem Kind. Die Könige laufen hinter Herodes um seinen Thron herum und gelangen so zu dem anderen Thron. Es gibt einen Weg, übrigens auch durch eine Pandemie!
Und dann gibt es noch eine ganz wunderbare Stelle in dem Evangelium:
„Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.“ Es gibt ein Ankommen, die Liebe bleibt nicht unerfüllt, die Sehnsucht geht nicht ins Leere und die Schmerzen verwandeln sich in einen großen Frieden! Es kann sein, dass der Weg des Glaubens schon erfüllt, so dass man sagt: der Weg ist das Ziel. Aber wir machen keinen Adventure-Zeitvertreib. Es gibt ein Ankommen! Das gehört mit zu dem Schönsten, was ich er-fahren habe, was mir Kraft und Zuversicht gibt!
Ich freue mich, dass wir miteinander unterwegs sind, dass wir uns begleiten auf dem Weg, miteinander teilen in Freude und Leid, und dass wir uns dazu geschenkt sind von Gott! Und dabei mit allen Menschen verbunden sind, alle haben wir Gold der Liebe, Weihrauch der Sehnsucht und Myrrhe der Schmerzen dabei. Er wird sie annehmen!