Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit 2020
von unserem Pfarrer Vornewald
Vielleicht ist das ein Anker, wo man Halt finden kann: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren; glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Mir diesen Wirten beginnt das heutige Sonntagsevangelium.
Fangen wir klein an, mit den Ängsten eines Pfarrers um seine Gemeinde. Wie soll eine Kirchengemeinde leben, wenn sie sich nicht versammeln kann, wenn sie keine Eucharistie miteinander feiern kann? Es soll weiterhin keine öffentlichen Gottesdienst geben, so hat es unser Bischof verfügt in dieser Woche. Und er hat geschrieben, bis auf weiteres. Und wenn es irgendwann möglich wird, dann unter strengen Hygieneregeln, und mit mindestens zwei Metern Abstand und ohne Gesang. Natürlich gibt es viele andere Wege, wie man seinen Glauben leben kann. Aber ohne dass wir alle zusammenkommen? Zumal wir ja aus einer Frömmigkeitsform herkommen, wo das Wiederholen des immer gleichen ganz wesentlich ist für das Bewusstsein unseres Kircheseins. Wenn dies nun unterbrochen wird auf unabsehbare Zeit, so dass sich neue Gewohnheiten etablieren? In meinem Bezugskreis sagte jemand, der jetzt meistens sonntags einen Gottesdienst im Radio hört: „Bei mir kam die Frage auf, brauche ich das, in die Kirche zu gehen?“ Ich habe aber noch eine andere Frage: Gibt es wenig Sehnsucht nach der Eucharistie in meiner Pfarrei? Seit einigen Wochen habe ich Sie eingeladen, an den täglichen Eucharistiefeiern teilzunehmen, auch Sonntags, teilweise bewusst mit emotionalen Worten. Die Leute, die sich gemeldet haben, einmal die Messe mitzufeiern, kann ich an einer Hand abzählen. Dass ich darum betteln muss, dass man die Messe mitfeiert für sich und stellvertretend für andere mit, macht mich traurig. Es kann schon sein, dass einige Hemmungen haben. Aber wenn es in nächster Zeit Gottesdienste in unserer Gemeinde geben wird, dann ist das nur möglich mit persönlicher Anmeldung, weil in unserer kleinen Kirche nur eine sehr begrenzte Zahl teilnehmen können wegen der Abstandsregeln. Ist das vielleicht schon zuviel, sich anmelden? Bloß, was bleibt dann von uns übrig? Einzelne Cliquen und Freundeskreise, aber eine christliche Gemeinde? Die liebgewordenen Traditionen kann man doch auch im Fernsehen oder am Radio … „Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“, lasse ich mir sagen und gehe meinen Weg weiter, nüchtern, aber mit Vertrauen. Und warte dann darauf, dass ich vielleicht mal staunen werde, was Gott uns durch diese Zeit neues geschenkt haben wird. Es wäre nur traurig, wenn jemand von uns dann nicht mehr dabei ist.
„Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“. Das kann den Blick verändern auf die eigene Lage. Man lässt mitten in der eigenen Ungewissheit und den damit verbundenen Sorgen und Zukunftsängsten einen Anker herunter auf den Grund des aufgewühlten Meeres, auf dem das eigene Lebensboot begonnen hat zu schaukeln. Und kann das Halten von Abstand und z.B. dieses nicht nur lästige, sondern auch unheimliche Aufsetzen der Gesichtsmaske vor dem Supermarkt anders annehmen. Und die Fragen mit einem Schuss Gelassenheit aushalten: Was wird bei den eigenen Kindern mit ihrem Beruf, was wird angesichts der eigenen Vorerkrankungen, dem eigenen Alter und dem dadurch ständig mitlaufenden Risiko? Wie wird unsere Zukunft? Und mittendrin die Sehnsucht nach menschlicher Nähe, gerade wenn man nicht in familiärer Geborgenheit mit anderen Menschen leben kann, oder aber von anderen getrennt bleiben muss, z.B. die Enkelkinder von den Großeltern oder die Großeltern von den Enkeln. In dieser Woche ist Frau Grundmann gestorben. Sie war ein schwerer Pfegefall mitsamt starker Demenz. Ihre Tochter hat mir berichtet, dass sie sie nicht besuchen konnte im Pflegeheim selbst angesichts des Sterbens.
„Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Auch der Blick auf die gesellschaftliche Lage, die politische Situation kann beunruhigen. Bei mir kommt da als erstes die Lage der Menschen in anderen Regionen der Erde in den Sinn, die viel ohnmächtiger in die Katastrophe der Pandemie hineingeraten. Allein, was berichtet wird aus den USA, die ja mitten in ihrer Gesellschaft eine sog. Dritte Welt zu haben scheinen, wenn Millionen von Menschen keine Absicherung haben gegen Krankheit und nun zu vielen Tausenden sterben ohne dass jemand wirksam hilft. Und irgendwie scheint unsere Situation auch die Motive von politisch Verantwortlichen bloß zu legen. Wie kann bei Entscheidungen über Leben und Tod machttaktisches Kalkül und der eigene Wahlkampf eine Rolle spielen? Und damit hat man den Eindruck, dass sich Abgründe auftun. Auf welchen Füßen steht unser Zusammenleben?
„Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Mit diesen Worten aus den sogenannten Abschiedsreden beginnt das heutige Evangelium. Es ist ein Teil des langen Gesprächs, das Jesus nach dem gemeinsamen Mahl und der Fußwaschung mit den Jüngern führt. Vermutlich kennen Sie die Worte von Beerdigungen. Und das ist durchaus passend. Denn diejenigen, die Jesus zuhören, wissen genau, dass es der letzte Abend mit ihm ist. Und vor dieser Kulisse haben seine Worte eine ganz eigene Dringlichkeit. „Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“ „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“, heißt es weiter. Für Euch ist gesorgt, Ihr habt im Himmel eine Wohnung, und es gibt viele Wohnungen, auch für die anderen wird gesorgt. Und wenn dabei die Rede davon ist, dass er geht und wieder kommen wird und die Jünger zu sich holen wird, dann klingt das in der Rückschau auf den Karfreitag und die Botschaft von der Auferstehung wirklich tröstlich. Für uns ist gesorgt, wir sind geliebt! Wir werden dort sein, wo er ist! Und das alles gründet in ihm: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, außer durch mich!“, sagt Jesus. Nicht nur, dass er einen Weg gefunden hat und einlädt, ihn mitzugehen, er ist der Weg; nicht nur, dass er etwas beizutragen hat zu den Einsichten der Menschheit, er ist die Wahrheit; nicht nur, dass es gut tut, sich auf ihn einzulassen und Erfahrungen mit ihm zu machen, er ist das Leben. Man könnte es so übertragen: Er ist der Anker! Und wenn es da heißt, dass niemand zum Vater kommt, außer durch ihn, so ist damit nicht gemeint, dass nur wir mit unserem ausdrücklichen Bekenntnis zum Vater kommen können, sondern dass alle, wenn sie denn zum Vater kommen, durch ihn zum Vater kommen. Denn durch ihn hat sich Gott doch allen zugewandt, seine Liebe gilt, es heißt: Für euch und für alle! Wenn das nicht stimmt, möchte ich kein Christ sein. Das aber versetzt uns in ein anderes Verhältnis zu unseren Mitmenschen: Hans Urs von Balthasar hat gesagt: „Jeder Mitmensch ist für den Christen eine Schwester, ein Bruder, für die/den Christus gestorben ist!“ „Denn wer mich sieht, sieht den Vater“, sagt dann Jesus auf Nachfrage der Jünger. Denn er sieht auf den Gott, der sich uns liebevoll zugewandt hat, der wie der allerbeste Vater alle Menschen zu seinen Kindern hat. Jesus sagt ausdrücklich, dass er zu diesem Vater geht und dass dies unsere Kraftquelle ist. „Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater.“ Dasselbe wie Jesus, das ist großartig! Voraussetzung ist: Wer an mich glaubt!, da ist es wieder: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Er ist der Anker, der uns Halt und Kraft und Freude gibt und wenn wir diesen Glauben teilen, werden wir füreinander zur Lebensfreude!
Zwei Beobachtungen, die ich in den letzten Tagen gemacht habe, will ich hinzufügen. Die erste war in der täglichen Lesung. Da wird in der Osterzeit die Apostelgeschichte nach und nach immer weiter gelesen. Der Weg der ersten Christen, wie er da nacherzählt wird, war keineswegs ein Weg, der immer geradeaus nach vorne ging. Die größte Katastrophe, von der berichtet wird, war wohl die Ermordung des Stephanus. Stephanus war eine der großen Leitfiguren der frühen Christenheit, und es hat mich wieder neu beeindruckt, dass sein Sterben genau dem Sterben von Jesus nachgezeichnet wird, dass er vergibt und sein Leben in die Hände Jesu legt (wie Jesus in die Hände des Vaters). Anschließend gab eine erste heftige Christenverfolgung. Man hätte meinen müssen, dass dies zum Untergang geführt hätte. Sie mussten fliehen und kamen bis nach Antiochia (ca. 800 km nördlich von Jerusalem). Aber es kam ganz anders. Auf halbem Weg nach Antiochia in Damaskus wurde ihnen Paulus hinzugefügt, einer der Hauptinitiatoren ihrer Verfolgung. In Antiochia blühte das Christentum ganz neu auf, und weitete sich weit über den jüdischen Raum hinaus aus, so dass es bald dazu kam, dass Barnabas und Paulus aufbrachen zur ersten großen Missonsreise. Als mir das alles bewusst wurde, habe ich gestaunt, was aus der Katastrophe wachsen konnte! „Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“
Ein zweites: Am Freitag war der 75. Jahrestag des Endes vom zweiten Weltkrieg. 50 Millionen Tote, 6 Millionen ermordete Juden. Unvorstellbares Leid. Endlich vorbei! Aber: Wie sollten Menschen aus diesem schrecklichen Leid aufstehen, wie sollten diejenigen irgendwie wieder zusammenleben, die sich dies angetan haben, und wir Deutschen mehr als mittendrin? Man kann nur staunen, was daraus gewachsen ist, 75 Jahre lang Frieden, und aus den Feinden von damals sind vielfach Freunde geworden. In mir hat das ein Empfinden von Beschämung und Freude und Mut ausgelöst. Und es hat mir geholfen, dass sich die Maßstäbe verrücken, was unsere jetzigen Schwierigkeiten betrifft. Es ist eine solche Kraft darin: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich!“