Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit 2020
Am letzten Sonntag haben wir zu dritt in unserer Kirche um 10 vor 10 Uhr das gemeinsame Lied gesungen: „Bewahre uns Gott, behüte uns Gott …“ Spätestens als es in der zweiten Strophe hieß „sei nahe in schweren Zeiten“ kam mir der Gedanke: Das ist mit viel Bedacht ausgewählt worden. „Sei Hilfe, sei Kraft, die Frieden schafft, sei in uns, uns zu erlösen!“ Das drückt genau aus, was wir in diesen Tagen empfinden. Als wir dann stellvertretend zu dritt die Messe gefeiert haben, haben wir ein anderes Lied gesungen: „Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit …“ Mir kam später der Gedanke: War das Lied ein Fehlgriff, nach dem Motto: Sowas kann man doch in diesen Tagen nun wirklich nicht singen?
Andererseits, braucht man in schweren Zeiten nicht gerade auch Freude, ist man nicht schon verloren, wenn man nicht mehr lacht? Oder noch tiefer, wenn man das nicht mehr sehen kann und im Blick hat, was Ostern bedeutet? Heißt es nicht: Not lehrt beten? Nur Bittgebete? Oder auch die anderen Gebete wie Lob- und Dankgebete?
Vielleicht können uns zwei Menschen helfen, deren Leben durch eine österliche Begegnung aus tiefer Not verwandelt wurde in Freude. Gemeint sind die Jünger Jesu, die sich auf den Weg machten, um von Jerusalem nach Emmaus zu kommen. Ihr Gedanke war wohl: Nur weg von hier! Denn dort hatten sie miterlebt, was mit Jesus geschehen war, dass er ans Kreuz geschlagen wurde und gestorben ist. Dabei war ihnen ihr ganzes Lebensmodell weggebrochen, nichts war mehr wie es vorher war. Mit ihm war auch ihre Hoffnung und damit ihr Lebensglück ins Grab gesunken. Dass sie Jesus nicht erkannten, als er sich ihnen zugesellte, ist logisch. Denn wenn man jemand tot weiß, dann kann er es nicht sein, wenn er lebendig vor einem steht. Das muss ein anderer sein. Fast alle Auferstehungsberichte erzählen davon, dass ihn die von Trauer und Enttäuschung erfüllten Jüngerinnen und Jünger erst nicht erkannten. Sie erkannten ihn erst, als er sich von sich aus zeigte.
Dann könnte die entscheidende Frage an uns sein, wie geht das, ihn, den man tot wähnt, als den zu entdecken, der lebt? Der in diesen Tagen der Coronagefahr weit weg zu sein scheint, in diesen Tagen, wo uns allmählich klar wird, was für ein Einschnitt dies in unser Leben ist, wo die Dimensionen vielen erst so richtig bewusst werden. Ja, es wird so sein, dass wir in dieser Unsicherheit lange Zeit leben müssen, dass Maske aufsetzen vor dem Supermarkt so ähnlich werden wird wie Schuhe anziehen, wenn man die Wohnung verlässt. Und mit den Dimensionen, die sich vor unserem geistigen Auge öffnen, wachsen Ungewissheit und Ängste vor den Konsequenzen. Natürlich als erstes die Sorgen um das Leid, das dieses Virus mit sich bringen kann, wenn es außer Kontrolle geraten sollte. Aber es geht darüber hinaus: Ich glaube, ich muss die vielen schwierigen Situationen, in die auch gesunde Menschen dadurch geraten, gar nicht aufzählen, das Fernsehen erzählt vorwärts und rückwärts davon. Es macht einen sprachlos, wenn man sich einfühlt in die Ohnmacht und Verzweiflung, in die Menschen dadurch geraten. Wo bist du Gott? Bist du tot, wie Friedrich Nietsche meinte?
Bei den Jüngern auf ihrem Weg macht es nicht einfach „schnack“ und es ist alles klar, Jesus lebt. Sondern sie machen eine Wegerfahrung, die sie dazu führt, dass ihnen die Augen aufgehen und sie ihn erkennen. Das erste, was auffällt, ist, dass dieser Fremde sie mit dem, was sie erfahren haben, ernst nimmt. Er möchte wissen, was ihnen geschehen ist. Er lässt sie erzählen, sie dürfen alles los werden, was passiert ist und sie so aus der Bahn geworfen hat. „Wir aber hatten gehofft …“. Er hört zu ohne zu werten. Auch wenn sie ihn nicht erkennen, er ist bei ihnen und es ist nicht ohne Wirkung!
Auch wenn wir ihn nicht erkennen, er ist bei uns? Ich lade Sie ein, diese Frage zuzulassen. Und nicht so, dass wir einfach mal verdrängen und uns flüchten in irgendwie heile Vorstellungen, sondern indem wir diese gläubige Vermutung konfrontieren mit der Realität, in der wir jetzt leben. Er ist bei uns! Wenn es Gott gibt, dann ist er wirklich, d.h. er ist in unserer Wirklichkeit. Er ist da, er geht mit uns, er nimmt uns ernst! Das kann Kraft geben, sich der Wirklichkeit zu stellen, wie sie ist. Und so, wie sich die Jünger von dem Fremden angenommen fühlten, kann es zur Tür werden, die Wirklichkeit anzunehmen. Diese Wirklichkeit, in der wir jetzt leben, ob wir wollen oder nicht. Das hilft, sich darauf einzulassen, zu tun, was jetzt dran ist, es zu akzeptieren, auch wenn manches uns gar nicht gefällt, ja weh tut.
Der Fremde unterwegs mit den Jüngern geht einen weiteren Schritt. Er fängt an, ihnen aufzuzeigen, dass ihre Erfahrung nicht nur eine schreckliche Katastrophe ist, sondern dass sie genau darin gesegnet werden. Dass ihr Leben nicht aus Gottes guten Händen herausgefallen ist, sondern dies der Weg ist, wie Gott seine Hände unter sie legt. Das geschieht, indem er sie mit dem konfrontiert, was in der Schrift über ihn geschrieben steht.
Auch wenn das auf den ersten Blick eine Zumutung ist: Könnte es sein, dass wir in diesen Tagen gesegnet werden? Man muss mit dieser Frage vorsichtig umgehen, denn sie beantwortet sich nicht darin, dass wir Dinge verharmlosen, die schlimm sind, dass wir harmonisieren, und damit unsere Solidarität mit den anderen Menschen verlassen, ja vielleicht sogar, dass wir andere verachten, weil sie die Dinge nicht positiv sehen können.
Vielleicht ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Jünger Jesus immer noch nicht erkennen. Er ist da, öffnet sie für eine ganz andere Logik, die Logik der Liebe, die auf anderen Bahnen unterwegs ist. Und sie werden gebannt zugehört haben, schließlich sagen sie später: „Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“
Vielleicht kann man es ein wenig wahrnehmen in der Wirkung des Gebetes. Mir geht es so, dass ich in diesen Tagen irgendwie anders beten kann, dass die Ungewissheit und die Angst mir helfen, wahrzunehmen, dass mein Leben in Gott ruht und alles andere trügerisch ist. Das schafft eine ganz eigene Gewissheit, eine Nähe, einen Frieden. Und dabei werden auch Sätze, die ich schon lange kannte, neu lebendig, sie erschließen sich in ihrem Sinn und tragen.
Und dann erzählt die Geschichte, dass sie das Dorf erreichten, zu dem sie unterwegs waren. Sie drängten Jesus, bei ihnen zu bleiben. Und als er mit ihnen zu Tisch war, da nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn. Jesus hat die Jünger auf ihrer Flucht begleitet, sie wollten sich in Sicherheit bringen, jetzt am Ziel wird ihnen klar, dass ihre Ruhe und Sicherheit woanders gründet. Die Situation, vor der sie weglaufen, wollen sie bei sich behalten, nicht die Situation, sondern das, was darin zu ihnen spricht. Es spricht zu ihnen, dass dies der Weg ist, auf dem Gott mit ihnen teilt, er seine Nähe schenkt, mit dieser Perspektive gehen sie in den Abend, ins Dunkel. Der, dessen Ort sie entrinnen wollten, holt sie ein und ist bei ihnen. Die Heimat, die sie in ihm gefunden hatten, und die in Jerusalem mit seinem Tod zur Verzweiflung wurde, wird ihnen neu geschenkt in der vertrauten Geste, beim Brotbrechen.
Das könnte unser Gebet sein: Bleib bei uns, denn es wird Abend, es wird dunkel, uns geht die Perspektive verloren, wir haben Angst vor dem, was kommen kann! Und er geht mit uns hinein ins Dunkel. Und teilt mit uns, bricht das Brot. Uns gehen die Augen auf und wir erkennen ihn, vielleicht immer wieder:
- Wenn wir geduldig und in gegenseitiger Rücksicht anstehen mit der nötigen Distanz vor der Kasse im Supermarkt.
- Wenn Politiker und Wissenschaftler um gute Entscheidungen ringen und wir wirklich miteinander durch diese Situtation gehen.
- Wenn wir sehen, was manche in diesen Tagen leisten und es in uns Dankbarkeit und Sehnsucht nach wahrhaftigem und menschlichem weckt.
- Wenn wir uns freuen über jeden, der geheilt ist oder über Erleichterungen bei uns und in anderen Ländern.
- Wenn wir mitfühlen mit dem Leid vieler Menschen, das uns Berichte im Fernsehen vermitteln, unsere Ohnmacht aushalten müssen und demütig werden.
- Wenn Menschen anfangen, ihr Leben neu zu sortieren und zu unterscheiden, was ihnen wichtig ist und wofür sie leben möchten.
- Wenn wir spüren, wie wenig sicher vieles ist und und wie gestundet und wir darum einander brauchen.
- Wenn wir sehen, wie wir uns, wie es jemand im Fernsehen sagte, unsere Menschlichkeit wieder holen, mit wieviel Einsatz und wieviel Pahantasie.
Ich weiß, jede dieser Beobachtungen kann man auch anders sehen und ein Aber hinzufügen, und das Blatt kann sich schnell wenden. Aber man kann auch sehen, wie mitten in unserer Brüchigkeit das Brot gebrochen wird, und wie dann aus Angst Zuversicht und manchmal tiefe Freude wird.
Noch in derselben Stunde kehrten die Jünger nach Jerusalem zurück! Sie hatten die Kraft dazu, denn sie waren dem begegnet, der tot war und der lebt.
Ein Kabarettist hat vor ein paar Tagen aus einer überregionalen Tageszeitung alles rausgeschnitten, wo Corona vorkommt. Von der Zeitung blieben nur ein paar Streifen übrig. Daran kann man sehen, wie stark unser Leben davon bestimmt ist und wie groß die Sorgen sind.
In unseren Osterliedern gibt auch einen Begriff, wo nicht viel übrigbliebe, wenn man alles damit entfernt. Es gibt sogar ganze Strophen, wo praktisch nichts anderes vorkommt als das Wort HALLELUJA! Daran kann man sehen, wie stark die Hoffnung ist und wie groß die Freude: Er lebt!
Halleluja, Halle-e-luja, Halle-e-luja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Mari-i-en Sohn!